ANGELA NOVA von Kabermann,  Friedrich

ANGELA NOVA

Die Weise von Liebe und Tod des Dichters Rainer Maria Rilke

Eine Frau, ein Mann, die Malerin und der Dichter – gleichaltrig, miteinander befreundet und mehr als das: Paula Modersohn-Becker und Rainer Maria Rilke, eine einzigartige Konstellation. Worpswede – Berlin – Paris: Es findet nicht nur ein reger geistiger Austausch statt, sondern beide Künstler widmen dem anderen jeweils ein Werk, das zum gültigen Bestand der modernen Kunst gehört: Die Malerin das Portrait Rilkes von 1906, der Dichter das „Requiem“ auf den frühen Tod der Freundin 1908.

Rilke lebte zwanzig Jahre länger als die „blonde Malerin“, vier Wochen vor seinem Tod am 29.12.1926 legt er anhand dieser für ihn entscheidend gewordenen Begegnung Rechenschaft über sein Leben ab. Beide waren in ihren Ehen nicht glücklich, deshalb klingen neben den künstlerinschen Themen auch jene Fragen zwischen den Geschlechtern an, die bis heute ungelöst sind.

War mehr als Freundschaft im Spiel? Unter der Post findet Rilke einen Brief der Freundin, der zwanzig Jahre verschollen war. Er wurde in ihren letzten beiden Lebenstagen geschrieben und kommt nun auf den Dichter aus jener Zukunft zu, die auch er vor Augen hat: Den Tod. Der Brief löst einen Erinnerungssturz aus, den Rilke zu Papier bringen muss, wenn er ihm standhalten soll. War nicht schon immer das Schreiben jene Form gewesen, in der er Antwort suchte auf die Fragen des Lebens? Rilke setzt an, bricht ab, er zitiert sich selbst, auch die Freundin, er rechtfertigt die Opfer, die das Werk gefordert hat. Eine neue Art „Stunden-Buch“ entsteht in dieser Nacht, der letzten, die Rilke in der geliebten Einsamkeit verbringt. Die Sprache ähnelt der der Elegien, der Brief der Freundin bildet dazu den Kontrapunkt. Beide Stimmen variieren die gleichen Themen, sie bewegen sich oft gegenläufig, doch gleichsam innerhalb derselben Partitur.

Die Schmerzen, die die tödliche Krankheit bereitet, lassen Rilke fühlen, dass es zu Ende geht. Er ist allein – die letzte Nacht im Turm von Muzot, der durch ihn zum Mythos geworden ist. Nur der Engel ist bei ihm, der ihn ein Leben lang begleitete, bis zu den „Sonetten an Orpheus“ und den „Duineser Elegien“. Er ist der Dritte im Bunde dieser letzten, durchgeschriebenen Nacht, in der noch einmal die Weise von Liebe und Tod des Dichters Rainer Maria Rilke erklingt. Es ist wie bei einer Glocke, die im Läuten zerspringt – der Sprung ist der letzte Ton, der als Frage ausklingt: Engel, wer bist du?

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