Gehirn und AD(H)S
Elisabeth Dägling
Die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns und die Ursache der AufmerksamkeitsDefizitHyperaktivitätsStörung sind ungelöste Probleme der Wissenschaft. In diesem Buch wird die These aufgestellt, dass beide Fragen so miteinander zusammenhängen, dass die Lösung der einen Frage die der anderen ermöglicht: die Erklärung des devianten Verhaltens der von AD(H)S betroffenen Menschen erfordert also eine neue Erklärung der Arbeitsweise des Gehirns, die das Bewusstsein einschließt.
Eine Voraussetzung, um als Individuum in einer Umwelt zu überleben, in der es sich ernähren, sich fortpflanzen, Gefahren erkennen, sich entscheiden und Absichten generieren kann, ist die Notwendigkeit, kausale Zusammenhänge zu erkennen. Die grundlegende These der Autorin ist nun, dass das Gehirn nach einer kausalen Regel arbeitet, um die Wirklichkeit, die wir erleben, zu konstruieren. Die Arbeitsweise des Gehirns und mit ihr die Ursache von AD(H)S können also durch diese kausale Regel verstanden werden, von der es, und das ist entscheidend, zwei Varianten gibt. Demnach ist jedes menschliche Gehirn entweder nach der einen (prädikativen) oder nach der anderen (funktionalen) Regelvariante aufgebaut und arbeitet deshalb auch nach der jeweiligen Variante. Dies bedeutet, es existieren zwei verschiedene menschliche Gehirne. Von AD(H)b betroffene Personen gehören danach zu einer Minderheit, deren Gehirn mit einer anderen – der funktionalen – Variante arbeitet, als das Gehirn der Mehrheit der Menschen. Trifft diese These zu, so ist die derzeitige Beurteilung des Verhaltens von AD(H)S-Personen eine Fehlinterpretation und erfordert eine Umorientierung unsererGesellschaft.