Die europäische Chemieindustrie
Bedeutung, Struktur und Entwicklungsperspektiven
Klaus Löbbe
Mit knapp 1,7 Mill. Beschäftigten und einem Umsatz von 528 Mrd. € war die europäische Chemische Industrie auch im Jahre 2002 einer der größten europäischen Industriezweige. Das Wachstum der realen Wertschöpfung übertraf mit 3,1 % p.a. im Zeitraum 1991 bis 2002 den gesamtindustriellen Durchschnitt (1,4 % p.a.) wie auch die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate (2,0 % p.a.) deutlich. Die außenwirtschaftliche Position der Branche im weltweiten Wettbewerb ist nach wie vor beachtlich, trug sie doch 13,5 % zu den Exporten der Europäischen Union bei und verzeichnet nach wie hohe Außenhandelsüberschüsse; mehr als die Hälfte aller Chemieexporte der Welt stammen aus Europa.
Neben diesen quantitativen sind aber auch qualitative Aspekte zu bedenken: Die Chemische Industrie steht am Anfang der volkswirtschaftlichen Wertschöpfungskette und stellt innovative Produkte für viele dynamische Branchen wie etwa die Elektrotechnik, die Automobil- und die Papierindustrie bereit. Als Folge hoher Forschungsanstrengungen und Anlageinvestitionen entsprechen die Produkte und Produktionsverfahren stets dem Stand von Wissenschaft und Technik; die Qualifikation der Beschäftigten ist überdurchschnittlich hoch, ihre Arbeitsproduktivität wie auch die Pro-Kopf-Einkommen sind höher als in allen anderen europäischen Industriezweigen.
Es ist freilich nicht zu übersehen, dass die letzten Jahre von tief greifenden Veränderungen in Wissenschaft, Technik und Gesellschaft geprägt waren, die in den Unternehmensbilanzen und Beschäftigungsstrukturen deutliche Spuren hinterlassen haben und hinterlassen werden Hier sind u.a. die zunehmende Bedeutung der IuK-Technik sowie der Bio- und Gentechnologie, die Globalisierung der Märkte und Intensivierung des internationalen Standortwettbewerbs sowie der demographische Wandel zu nennen. Im nationalen wie im europäischen Rahmen wurden durch zahlreiche Vorschriften (Gesundheitsreform, CO2-Emissionshandel, EU-Chemikalienpolitik) neue Rahmenbedingungen gesetzt.
Vor diesem Hintergrund versucht die vorliegende Studie, ein umfassendes und zukunftsorientiertes, nach Fachzweigen und Ländern differenziertes Bild der europäischen Chemischen Industrie zu entwerfen. Sie zeigt, dass die Unternehmen der europäischen Chemischen Industrie, insgesamt betrachtet, auf die Herausforderungen der letzten Jahre frühzeitig und entschlossen reagiert haben und heute gute Voraussetzungen für ein weiteres, leicht überdurchschnittliches Wachstum mitbringen. Der Umstrukturierungsprozess war freilich mit dem Verlust zahlreicher, zumeist hochwertiger Arbeitsplätze verbunden: Von 1991 bis 2002 ist die Zahl der Beschäftigten in den Unternehmen der europäischen Industrie um fast 400.000 Personen gesunken; die verbliebenen Beschäftigten mussten sich auf veränderte Arbeitsinhalte einstellen. Es ist anzunehmen, dass sich diese Tendenzen – wenn auch abgeschwächt – fortsetzen werden. Dies stellt für die betroffenen Unternehmen und ihre Beschäftigten, aber auch für die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik eine neue, ernste Herausforderung da