Die Gleich-Gültigkeit des Möglichen
Wege zu einer nichtfragmentarischen Poetik von Wolframs ‚Titurel’
Stephan Fuchs-Jolie
Der ‚Titurel‘ Wolframs von Eschenbach besteht aus zwei ungleichen Textstücken. Ein Fragment, zweifellos. Doch zugleich ist es mehr und anderes als der verstümmelt überlieferte, gescheiterte oder rätselhaft abgeschlossene Versuch, eine Liebesgeschichte nachzutragen, deren fatales Ende im ‚Parzival‘ schon erzählt wurde. Wolfram stellt mit dieser wohl ersten vorlagenlosen höfischen Erzählung in deutscher Sprache die Frage nach den Bedingungen des Erfindens einer Geschichte. Und er gibt Antworten, indem er vorführt, dass die Signifikanten und Bausteine alles Erzählten ein verzweigtes Netz möglicher Beziehungen und simultan gültiger Sinnsetzungen bilden. Die Studie unternimmt den Versuch, mit der Enthierarchisierung der Zeichen- und Sinnbeziehungen jenes integrale poetische Prinzip aufzudecken, das den Text mit seiner hyperkomplexen sprachlich-musikalischen Form und seiner varianten Überlieferungsgestalt auf der mikrostrukturellen wie auf der makrostrukturellen Ebene organisiert.