Eduard Stempfer
Erlebnisse in russischer Gefangenschaft 1914-1918
„Ich bleibe bei meinem Bericht absichtlich mehr auf der gemütlichen Seite… Man trieb uns
endlich mit den blanken Säbeln und der berühmten Russenknute oder Kosakenpeitsche zum
Schacht, zwang ein paar in den Fahrstuhl hinein, und los ging’s, etwa sechshundert Meter senkrecht
in die Tiefe, jeder versehen mit einer kleinen Bergmannslampe… Selbstverständlich wurden
wir in keiner Weise entlohnt. Dafür gab es immer eine grosse Auseinandersetzung, wenn
unsere Finken abgelaufen waren. Und ganze wollten wir haben, denn auf der Kohle herumlaufen,
mit einem Sack um die Füsse, war nicht gerade angenehm.“
Wie es sich anfühlt, zehntausend Kilometer von der Heimat verschleppt und als Kriegsgefangener
Zwangsarbeit in Sibirien leisten zu müssen, ohne zu wissen, ob und wie man den nächsten
Tag überlebt, das erzählt Eduard Stempfer in seinem erschütternden Tatsachenbericht.
Stempfer verbrachte fast den gesamten Ersten Weltkrieg in russischer Kriegsgefangenschaft. Er
verfasste diesen Bericht im Jahre 1938, in der Vorahnung dessen, was sich erneut über Europa zusammenbraute.
Zum 100. Jahrestag des Versailler Vertrages liegen nun seine handschriftlichen
Aufzeichnungen in gedruckter Form vor. Das ist ein Glücksfall – und eine Warnung an uns, die
wir im Frieden aufgewachsen sind und diesen als Selbstverständlichkeit empfinden. Denn die
Geschichte kann sich wiederholen.