Geschichte der Weihnachtsgeschichte von Schumacher,  Thomas

Geschichte der Weihnachtsgeschichte

Ein historischer und theologischer Schlüssel

Die biblischen Weihnachtserzählungen sind nicht die News von einst. Sie sind keine Protokollaufzeichnungen, über die sich mit der Zeit allenfalls etwas Patina angesetzt haben mag. Sie sind überhaupt keine Protokollaufzeichnungen – das mag manchen Zeitgenossen mit einem modernen Verständnis, was Wahrheit bedeutet, noch immer verwundern. Die Weihnachtserzählungen sowie die Evangelienschriften insgesamt folgen eigenen Regeln. Diese sind geprägt von den Idealen antiker Geschichtsschreibung, nämlich die Wahrheit über jemanden literarisch kunstvoll zum Ausdruck zu bringen. Und sie sind zuinnerst geprägt und überstrahlt von dem einen Ziel, Jesus als den Christus zu verkündigen – auf Basis der überlieferten Zeugnisse vom auferstandenen und erhöhten Herrn.
Kapitel 1 stellt den Eigencharakter der Evangelienschriften dar, in deren Mitte die Osterbotschaft steht. Ausgehend vom Zeugnis der ersten Zeugen für den Auferstandenen erhält die urkirchliche Verkündigung eine sprachliche Gestalt, die an die Vollendungsgestalt des erhöhten Herrn nicht hinreichen kann, die nicht mehr von dieser Welt ist. Im Rückgriff auf Begriffe und theologische Konzepte aus der eigenen jüdischen Lebenswelt werden Hoheitstitel wie etwa Christus oder Kyrios auf Jesus angewandt. Aus frühen Osterbekenntnissen etwa bei Paulus entstehen schon bald ausgeschmückte Ostererzählungen, welche die Überlieferung vom „sich sehen lassen“ des auferstandenen Herrn bildhaft und erzählerisch zum Ausdruck bringen. Von Ostern her erscheint Jesu Leben, Lehren und Wirken in einem neuen Licht. Die neue Textgattung Evangelium schaut aus der Perspektive der Christus-Verkündigung auf das Leben Jesu und gestaltet diese Verkündigung in einer erzählerischen Form.
Kapitel 2 macht deutlich, welche Bedeutung den beiden ersten Kapiteln des Matthäusevangeliums in der Konzeption der gesamten Evangelienschrift zukommt. Das ganze Matthäusevangelium strebt hin auf das große Finale des erhöh-ten Herrn, dem „alle Macht im Himmel und auf Erden“ gegeben ist (Mt 28,18). Von diesem Fluchtpunkt aus erscheint die Christus-Verkündigung in das vorösterliche Wirken Jesu rückgespiegelt. Die beiden ersten Kapitel führen wie eine Ouvertüre in die Hauptmotive des Matthäusevangeliums ein und stellen Jesus als Abrahamssohn, Davidssohn und Gottes Sohn dar. Jesus ist der Messias, der von David abstammt. Er ist Nachkomme Abrahams, durch den alle Völker der Erde Segen erlangen sollen, und er stammt aus Gott. Kapitel 1 und 2 bieten eine kunstvolle theologische Grundlegung für die nachfolgenden Kapitel in erzählerischer Form, deren Ziel mit jenem des ganzen Matthäusevangeliums übereinkommt: Den Christus-Glauben plausibel von innen her zu begründen.
Kapitel 3 zeigt, wie der Verfasser des hellenistisch geprägten Lukasevangeliums gemäß seinem Ansatz das Christus-Bekenntnis in eine nachträglich eingetragene Vorge-schichte in Form einer illustrierten Glaubenserzählung spiegelt. Die Erfüllung der Heilsgeschichte in Jesus Christus wird ex post aus der Perspektive der Verheißung ausgeleuchtet. Das Christus-Kerygma wird auf diese Weise nicht verändert, nicht inhaltlich erweitert, sondern lediglich auf der Ebene der Erzählung variiert und illustriert. Dies aber geschieht unter vollem Einsatz der literarischen Kunst antiker Geschichtsschreibung in erzählerischer Weise. Die Erzählstücke der Vorgeschichte sind in Form eines Diptychons nach den Prinzipien der Parallelität und der Überbietung angelegt: Auf die Geburtsankündigung des Täufers folgt die Geburtsankündigung Jesu; auf die Erzählung von Geburt und Namensgebung des Täufers folgt die entsprechende Erzählung über Jesus. Die epochale Zeitenwende vom alten Bund im Gesetz auf den neuen Bund in Jesus Christus markiert Johannes der Täufer, der als Vorläufer und Herold für den Messias dem Anliegen der Verkündigung Jesu Christi vollständig ein- und untergeordnet wird. Das Lukasevangelium bietet weder historische Zusatzinformationen aus dem Leben Jesu rund um dessen Geburt noch eine Kindheitslegende: Die Vorgeschichte bietet eine einführende Ausleuchtung des Christus-Bekenntnisses, rückgespiegelt auf die Szenerie der Anfänge des Lebens Jesu.
Kapitel 4 zeichnet den Fortgang der Rezeption dieser Weihnachtserzählungen nach. Grundlegend für die nachfol-genden Entwicklungen ist ein verändertes Verständnis der Evangelientexte nach den Prinzipien vom mehrfachen Schriftsinn auf dem Hintergrund der Kanonbildung. Aufbauend auf den wörtlichen Literalsinn der Texte erschließt die Methode der Allegorese zusätzliche geistige Sinnebenen. Das wörtliche Verständnis vorausgesetzt, verrückt dieses die Mt-Ouvertüre und die Lk-Vorgeschichte in der damaligen Wahrnehmung auf die Ebene historischer Information.
Kapitel 5 zeigt den Zusammenhang zwischen dem wörtlichen Verständnis und dem historisierenden Interesse im 4. Jhd., als im Zusammenhang mit der Konstantinischen Wende die Volksmassen zu Christen werden, und ein Para-digmenwechsel hin zum historisch Anschaulichen vollzogen wird. Die Ausgrabungen der heiligen Stätten in Jerusalem und Bethlehem und die dortige historisierende Adaptierung der Liturgie führt zur Ausprägung eines Festes der Geburt Christi, das sich mit den Pilgerströmen in die Ortskirchen des Römischen Reiches ausbreitet. Vornehmlich die politischen Umstände führen dazu, dass sich der Dezembertermin für ein eigenes Geburtsfest losgelöst vom Epiphaniefest in den letzten beiden Jahrzehnten des 4. Jhd. etablieren kann.
Kapitel 6 skizziert die weiteren Entwicklungen im Abendland. Der theologische Paradigmenwechsel z.B. in der Eucharistielehre stützt die Wende zum historisch Anschaulichen zusätzlich, wie etwa die fränkische vulgärchristologische Vorstellung von Jesus als dem auf Erden wandelnden Gott-Sohn. Im Mittelalter wird eine inkarnatorisch akzentuierte Christusfrömmigkeit bestimmend, welche aus einer Perspektive der persönlichen affektiven Betroffenheit auf das Leben Jesu Christi blickt. Die Aufmerksamkeit zentriert sich auf Passion und Inkarnation als die Brennpunkte des Heils. Beides wird zum bevorzugten Gegenstand anschaulicher und sogar dramatur-gischer Darstellung. Das Kind in der Krippe wird zum Aus-druck dafür, wie sehr Gott nahbar geworden ist.
Eine Wiederentdeckung der ursprünglichen Bedeutung der Evangelienschriften ist möglich geworden auf der Basis enormer Fortschritte der neu entstehenden Geschichtswissenschaften. Kritische Textausgaben auf Basis von Fundstücken sind die Basis, die Entstehung der aus Quellen redigierten Texte nachzuvollziehen und dabei die Gemeindesituation der Verfasser und ihre eigene theologische Perspektive in die Würdigung einzubeziehen. Insgesamt kennzeichnet die Anwendung derartiger Methoden, nach anfänglichen Vorbehalten auf katholischer Seite, jenen Ansatz, der als „historisch-kritische Methode“ die Bibelwissenschaft bis heute prägt.
Weder lässt sich die Offenbarung Gottes mit den Worten der Schrift fundamentalistisch identifizieren, noch können die kanonischen Schriften losgelöst von ihrer Christus-Verkündigung reduktionistisch verstanden werden. Die Exegese hat inzwischen einen Stand erreicht, der es möglich macht, den Evangelientexten in ihrer ursprünglichen Aussage angemessen zu begegnen: sowohl die historischen Bedingungen aus der Entstehung der Texte zu umreißen und theologiegeschichtlich zu würdigen, als auch all dies theologisch eigens zu reflektieren und für das Leben im Glauben fruchtbar zu machen. Auf Weihnachten fällt dann nicht nur ein historisch und theologiegeschichtlich geschulter Blick, sondern ein derart gereifter, dass Theologie und Glaube mit der liturgischen Feier eins zu werden vermögen.

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