Kurt Hiller und die Gruppe Revolutionärer Pazifisten (1926-1933)
Ein Beitrag zur Geschichte der Friedensbewegung und der Szene linker Intellektueller in der Weimarer Republik
Rolf von Bockel
Kurt Hiller (1885-1972) war in den zwanziger Jahren einer der streitbarsten und umstrittensten Mitarbeiter der Zeitschrift „Die Weltbühne“. Der Philosoph, Literat und Zeitkritiker gründete 1926 die Gruppe Revolutionärer Pazifisten (GRP). Persönlichkeiten wie Kurt Tucholsky, der linke Sozialdemokrat Hans Bauer, der Pfarrer August Bleier, der Kommunist und Lyriker Erich Weinert, Ernst Toller, Walter Mehring, Pauline Nardi, Alfred Kurella (nach 1945 SED-Kulturfunktionär), Walther Karsch (nach 1945 „Tagesspiegel“-Herausgeber), der Ökonom Alfons Goldschmidt, die Frauenrechtlerin Helene Stöcker und andere bekannte Intellektuelle schlossen sich der Gruppe an.
Der Zusammenhang von kapitalistischen Gesellschaftsordnungen und kriegerischen Gewaltpotentialen wurde thematisiert. In dem Bekenntnis zum Sozialismus spiegelte sich aber keineswegs ein einheitliches und einendes Gesellschaftsbild der Mitglieder wieder. Auch Hillers Politikmodell einer „Logokratie“, die „Herrschaft der Geistigen“, fand hier Anhänger.
Stets diskutierte die Gruppe tagespolitische Ereignisse der Weimarer Republik, die Kriegsschuldfrage (am Ersten Weltkrieg), Versailler Friedensvertrag, die Revisionsbewegung, Reichswehr, Nationalismus und Militarismus. Es gab sogar die Initiative gegen den „Hindenburg-Geist“, einen Kandidaten Heinrich Mann zur Wahl des Reichspräsidenten vorzuschlagen.
Trotz der Kapitalismuskritik sprachen die revolutionären Pazifisten um Kurt Hiller mehrheitlich supranationalen Organisationen friedensfördernde Wirkung zu. Man beschäftigte sich mit dem Kellogg-(Kriesgächtungs-)Pakt (1928) und der Paneuropa-Idee (Richard N. Graf von Coudenhove-Kalergi) und ging kritisch mit dem Friedenspostulat des Genfer Völkerbunds ins Gericht. Die Entwicklung in Russland – dem „großen sozialen Experiment“ – wurde aufmerksam verfolgt, – aber auch unterschiedlich beurteilt.
Die Frage nach der Anwendung von Gewalt als Mittel des Pazifismus war ein zentraler Diskussionspunkt, speziell: Soziale Revolution, Methoden gewaltfreien Widerstands wie Kriegsdienstverweigerung, die Legitimität des Tyrannenmords (zur Abwendung von drohenden Kriegen). Damit verbunden war stets die Frage: War und ist der revolutionäre Bürgerkrieg eine pazifistische „Friedensstrategie“?
Mit Beginn der 1930 Jahre waren die Ursachen des NS-Erfolgs ein Schwerpunktthema. Die „revolutionären“ Pazifisten traten für die „Linke Einheit“ ein, um den „Rutsch des Reichs in den Dreck“ abzuwenden. Im März 1933 löste sich die Gruppe auf.
Die vorliegende Neuauflage erscheint mit einem umfangreichen Anhang, der entlegene Hiller-Schriften und Dokumente der Gruppe Revolutionärer Pazifisten enthält, – ergänzt von einer Bibliographie, die die Literatur zum Thema von 1990 bis heute erschließt.