Liber Mnemosyne
Eine Retrospektive
Karl Maria Machel
Am Anfang war das Wort. Denn das Papier war noch öd und leer. Am Anfang muß das Wort gewesen sein, denn in ihm ist der Gedanke manifest geworden. Das Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte noch nicht lustig; und Lenz ging noch nicht durchs Gebirg und Maul noch nicht durch den Park der Stadt und der Held bei Waggerl betrat grad erst seine Geschichte.
Also: Im Anfang war das Wort, der Gedanke. Denn man muß weit vor sich beginnen, wenn man eine Geschichte erzählen will, lang vor seiner eigenen Zeit, sagte Oskar Matzerath; und ich will ganz von vorn beginnen, dort, wo die Zeit noch keine Zeit war. Als Gott die Zeit schuf, hat er genug davon gemacht, sagen die Iren. Also: Am Anfang war das Wort. Nein, eigentlich im Anfang war das Wort, im Beginnen, im Vorgang des Beginnens.
Nehmen wir einmal an, daß vor rund einer Million Jahren der besondere menschliche Entwicklungsweg begann, der uns zu geistigen Wesen und auch zu den Beherrschern der Erde machte. So jedenfalls kann man es beschreiben. Wir wissen, diese ungeheuer lange Zeitspanne liegt völlig im Dunkel der Geschichte. Wir können nur ahnen. Doch so weit wollen wir eigentlich nicht zurück. Nein, ich denke, ich werde nicht soweit ausholen, es war gestern, vielleicht vor einigen Tagen. Das Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte schon wieder lustig; und Lenz ging immer noch durchs Gebirg und Maul hatte den Park der Stadt durchschritten und der Held bei Waggerl hatte seine Geschichte abgeschloßen.
Und doch war im Anfang das Wort.