philo:xenia von Benjamin,  Walter, Fenves,  Peter, Giuriato,  Davide, Lacoue-Labarthe,  Philippe, Schestag,  Thomas

philo:xenia

Alle Sprachen sind Fremdsprachen.
Jede angeboren oder anerzogen, Eigen- oder Muttersprache genannte begegnet nicht nur als eine erste Fremdsprache, sondern bleibt als erste fremde zugleich die fremdeste – unheimliche Heimat –, erstbeste Fremde, und Erinnerungsmal (unerinnerbar) der Fremdheit aller Sprachen. Alle Sprachen bleiben – einander – fremd. Jede Sprache aber, Sprache überhaupt, fremd sich.
Vom Dilemma irritierender Gegebenheit des Fremdworts, also aller Wörter aller Sprachen, durch kein erklärendes Beiwort, das nicht seinerseits erklärungsbedürftig, Glosse bliebe, gestützt, zeugt Jacob Grimm im Deutschen Wörterbuch unter dem Lemma Fremdwort, das keine Erklärung bereithält, sondern nichts als ein fremdes Wort verzeichnet: vox peregrina. Über die Grenzen der Sprache als Acker – per agri – hinausgehendes, weder bloß ein- noch bloß auswandernd, die Grenzen des bestellten oder brachliegenden Felds der Sprache passierendes streunendes Wort, das nicht nur Ort- und Wort- und Heimatlosigkeit verkörpert, sondern die Ort- und Sprach- und Heimatlosigkeit des Ackers in Erinnerung ruft. Im fremden Wort – vox peregrina – vagabundiert (weder von der einen noch von der andern Sprache verantwortet) das Echo noch eines andern Worts für das Fremde, die Fremde, den Fremden, unter einem andern Winkel: xenia. Im Griechischen nennt xenos nicht nur den Fremden, sondern auch den Gast, xenia die Gastfreundschaft.
Alle Sprachen sind allen Sprachen –; alle Sprecher aller Sprachen allen Sprechern aller Sprachen –; fremd. Mit einem andern Wort: zu Gast. Diese Gastlichkeit ist keine nachträglich aufgebotene Geste, zu der die Bewohner eines Zeltes oder Hauses, eines Währungs- oder Wirtschaftsraumes, einer Gegend und Sprache sich entschließen, einem Fremden freundlich zu begegnen, anstatt seine Nähe als Bedrohung aufzufassen und den Feind zu vertreiben oder zu erschlagen. Die befremdliche Gastlichkeit, von der hier die Rede sein soll, ist Gastlichkeit im Selbstverhältnis alles dessen, was – im Augenblick der Selbstzuwendung, also jeden Augenblick – sich fremd bleibt. Nicht Gastfreundschaft der Einheimischen, allem Fremden gegenüber, sondern Gastlichkeit einer Fremde – ohne Horizont: aussichtslos –, die überhaupt erst den Entschluss ermöglicht, am fremden Ort, im fremden Wort zu wohnen, um den Schein der Eingeborenheit und Ausgestorbenheit (von Sprachen, Sprechern, Worten) zu verbreiten.
Jedes Wort – Fremdwort: nicht angestammtes oder eingepflanztes Wort einer andern eignen Sprache, sondern jedem Wort eignet – ohne ihm zu eignen, ohne anzugehören, ohne zu gehorchen, fast unhörbar, unüberhörbar – Wortfremde. In jedem Wort greift, jedem Wort fremd, über jedes Wort hinaus, eine Gastlichkeit Raum, die es erlaubt, jedes Wort aus der Fassung zum Wort – seines (oder eines andern) Orts – gehen zu lassen. Fassungslosigkeit zeichnet die Gastlichkeit im Selbstverhältnis aller Wörter aller Sprachen aus. Weder der Raum, noch auch die Zeit, die sie einräumt, ein Wort – anders – zu nehmen, kennt einen Rahmen, der nicht bricht.
Thomas Schestag ist Privatdozent für Germanistik und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main; Gastprofessuren in den USA und in Europa. Zuletzt erschien bei Urs Engeler sein Buch zu Hannah Arendts Theorie der Dichtung Die unbewältigte Sprache.

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