Stille und Bewegung
Semiotische Studien aus Japan
Götz Wienold
„Natur oder Naturdarstellung? Ein Blick in japanische Gärten“ führt in die semiotische Betrachtungsweise ein. Es sind Besuche in den Gärten des Buddhismus in Kyoto oder Kamakura, bei den japanischen Künstlern des Arrangements, den Meistern der stillen Lenkung und subtilen Schulung der Wahrnehmung. Was der Herkunft nach Natur ist, wird darin zu Objekt und Zeichen. Kiesel, mit dem Rechen bearbeiteter Sand, Stein, Wasser, fließend oder stehend, Baum und niederer Wuchs werden für die verweilende Anschaung zubereitet. Von der bekannten Weise japanischer Gärten, Stein und Baum so zu arrangieren, daß sie eine Landschaft darstellen, ein hoher Stein einen Berg, eine besonders gerechte Ansammlung von Kieseln Wasser, ergibt sich der Zugang, die Naturdinge im Arrangement des Gartens nicht nur als sie selbst, sondern auch als Zeichen und Zeichenpraxis zu erkennen. Ein Reihe besonderer Verfahren, die Naturdinge im buddhistischen Garten als Zeichen zu sehen, wie Rahmung oder Entzug der Farbe Grün und des Wassers werden im einzelnen vorgeführt. Ein Felsgarten wird zu einer Art Bildkunst, eine Anhäufung von Sand zur Szene. Diese Kunst ist eine, die still zu stehen nur scheint, minutiöse Veränderungen, oft durch Zufälle, wirken mit, daß sie gleichzeitig in Bewegung ist.
„Stein, Baum, Schrift: Japanische Zeichen in Räumen des Übergangs, Räumen am Rande“ führt in die heutige Lebenswelt. Die Naturdinge treten in öffentlichen und halböffentlichen Anlagen in Zusammenhänge mit Inschriften. Der Garten ist eine Welt für sich, die Anlage bereitet auf den Übergang von einer Welt auf eine andere vor, der ganz öffentlichen, wo Verkehr herrscht, und der halböffentlichen, wo gelehrt und geforscht wird oder wo politisches und administratives Handeln stattfindet. Entsprechend spielt Schrift hier, im Garten nur versteckt oder im Hintergrund, eine eigene Rolle in der Form der Inschrift. Und Dinge sind nicht nur als sie selbst da, sondern als Zeichen an anderen Dingen, als Ornamente.
„Stein und Gedicht“ erweitert den Blick auf speziell zubereitete Arrangements: Gedichtsteine. Gedichtsteine tragen auf sich in Inschriftform Gedichte und sind gleichzeitig kunstvoll bearbeitete Steine in einem Arrangement von Naturdingen. Ein Besuch führt uns in die Stadt Maebashi in der Präfektur Gunma. In geschickter Verteilung über das Zentrum der Stadt präsentiert Maebashi Anlagen dieser Art. Der sprechende, lyrische Text interagiert mir der stillen Anlage. Bemerkenswert, wie Gedichte von den wenig auffälligen Bewegungen in der stillen Welt sprechen, dem Flug der Vögel oder dem Fall der Blätter.
Noch ein anderer Bezug zur japanischen Literatur in „Takasago: Vom Nachleben alter poetischer Naturbilder im Japan der Gegenwart“. Der Weg führt in die Stadt Takasago am Inlandmeer, zur Handlung eines Noh-Stückes, das hier spielt, und einem Paar uralter Kiefern in Beziehung zur Handlung des Stückes. Gleichzeitig wird hier die Brüchigkeit der so oft hochgespielten Naturverbundenheit Japans in der technisierten und voll kommerzialisierten Welt erfahren.
Scheinbar weit vom Bisherigen ab, in die Warenwelt als Objektwelt, führt die fünfte Studie: „Inschrift, Design, Objekt: Über eine Tendenz zur inneren Sprache im japanischen Design“. Semiotische Analyse dringt aber auch hier in ein spezielles Phänomen des heutigen Japan, geschriebene Sprache ersetzt das Ornament auf Objekten. Dieses inschriftliche Quasi-Ornament hat gleichzeitig eine Tendenz zum Poetischen, und zur inneren Welt des Menschen, die wirkt, ohne sich laut in Worten auszusprechen. Und selbst in diesen Objekten begegnet man einmal dem Entzug von Grün, der im Garten zur Besinnung anleitet.
„Spuren, ungebetene Zeichen“ betrachtet eine Gegenwelt. Die bisherigen Studien galten dem besonders Gesuchten, den Zeichen, auf die Anstrengung, Aufmerksamkeit und Kunst aufgewendet wird. ‚Spuren‘ sind die Zeichen, die vom Gebrauch und der Abnutzung der Dinge der Objektwelt, ob Naturdinge oder ganz vom Menschen aus Kunststoffen hergestellte, rühren.
„Shoodenji: Blutspritzer der Geschichte neben dem Zen-Garten“ bringt den Leser zurück in einen stillen Garten in einem Kloster recht weit am Rande der Stadt Kyoto. Zeit in Bewegung mehrerer Stunden verändert die Ansichten eines Felsgartens. Je länger eine Besucherin im Garten verweilt, je mehr erfährt sie von der Stille und vom subtilen Wandel. Doch die Abtwohnung erinnert an ungemein bewegte, harte, geschichtliche Zeit.