Ulrich Puritz: Seestern mit Rucksack von Puritz,  Ulrich

Ulrich Puritz: Seestern mit Rucksack

Zeichnungen 2005 - 2012

Ulrich Puritz_Seestern mit Rucksack

Ein Seestern nutzt seinen Magen auf sonderbare Weise. Er stülpt ihn über die Beute und beginnt die Verdauung außerhalb des Körpers. Künstler sind wie Seesterne. Ihre Arbeitsweise gleicht einem Magen, der sich nach außen stülpen lässt.

Wer – wie ich – täglich mit schwarzen, dünnen Lackstiften hantiert, dem werden sie zu Fühlern und „Fresswerkzeugen“ mit besonderen Merkmalen. Farben und Materialeigenschaften lassen sie außer Acht. Sie lösen jenen Teil der „Beute“ heraus, der sich mit Gesten, Linien und Strichlagen zerlegen und in sattes, klares Schwarz umwandeln lässt – gleich, ob es sich um eine vage Idee oder ein sichtbares Motiv handelt. Beinahe selbsttätig steuern diese Trenn-, Zersetzungs- und Übertragungswerkzeuge die Neugier, den Blick und die Fantasie. Eigenschaften und Handhabung dieser Werkzeuge entscheiden darüber, was sich mit ihnen „verdauen“ lässt – und was nicht. „Unverdauliches“ bleibt unberücksichtigt oder wird ausgeschieden.

Bevor Wissen und Denken sich dem Gehalt von Zeichen, Symbolen und anderen Bedeutungsebenen nähern können, haben bereits künstlerische Umwandlungsprozesse stattgefunden. Sie liefern den Rohstoff und stellen die Weichen für alles Folgende.

Jene Künstler, die Farben und Pinsel bevorzugen, werden ihr Augenmerk auf den „Nährwert“ und das Potential der Farben richten. „Raumwerker“ denken in körperlichen Eingriffsmöglichkeiten und sehen durch Zollstock, Schraubenzieher, Bohrmaschinen oder Sägen „hindurch“. Fotografen lernen die sichtbare Welt durch die unterschiedlichen „Fenstergrößen“ ihrer Objektivbrennweiten aufteilen und in rechtwinkligen Ausschnitten bewerten. Interdisziplinär arbeitende Künstler – zu denen ich mich zähle – entwickeln unterschiedliche „Verdauungsorgane“ neben- und miteinander.

Beim künstlerischen „Beutemachen“ kommen weitere Besonderheiten ins Spiel. Im Alltag wie im Berufsleben muss das Sehen schnell, sicher und zielstrebig vonstatten gehen. Die Augen sind die wichtigsten Ausführungs- und Kontrollinstanzen eines gleichfalls zielstrebigen Denkens. Letzteres ist bemüht, vorhandenes Wissen möglichst effektiv abzurufen und einzusetzen. Für jedes „Wenn“ sucht es ohne Umwege ein passgenaues „Dann“.

Künstler hingegen forschen jenseits der Wissensgrenzen. Ihre Suchbewegungen vollziehen sich im Ungewissen. Ihre Aufmerksamkeit muss frei und unbeschwert umherstreifen können und jedes Detail nach allen Richtungen wenden dürfen. Es geht um Neugier und den Mut, sich dem Unvordenklichen auszusetzen, unbekannte Wege einzuschlagen, seine Arbeitsweisen flexibel, intelligent und fantasievoll auf die jeweiligen Herausforderungen einzustellen und solange geduldig unterwegs zu sein, bis sich Neuigkeiten abzeichnen und darstellen lassen.

In der künstlerischen Praxis treffen Sehen, Hantieren, Empfinden, Erinnern, Unbewusstes, Bewusstes, Vermutungen und Unvermutetes konfliktreich und voller Spannungen aufeinander. Im Mit- und Gegeneinander der unterschiedlichen Energie- und Erkenntnisquellen liegt das besondere Potential der Kunst. Doch bleiben die einzelnen Quellen und ihr erhellendes Zusammenwirken meist unbedacht, sie wirken unterschwellig. Der Routinier hat Methoden des Ausgleichs entwickelt, denen er „blind“ vertrauen kann. Der Neuling hingegen ringt mit Themen und Motiven. Die den genutzten Techniken zugrunde liegenden Richtgrößen und Wertmuster werden oftmals als unumgänglich betrachtet und bleiben von kritischen Betrachtungen verschont. Aufmerksamkeit, Intuition, Fantasie und Scharfsinn werden an den Arbeitsmethoden und den „Verdauungsorganen“ vorbei auf das jeweils gewählte Thema gelenkt. Kunstpraxis steigert die Wahrnehmung wie ein Aufputschmittel, dessen Wirkungsweise wenig Beachtung findet.
Experimentelle Praktiken lassen Richt- und Wirkkräfte in den einzelnen Techniken deutlich hervortreten und stellen sie auf den Prüfstand. „Stresstests“, Regelverletzungen, Zufälle und willentlich herbeigeführte Brüche, Lücken und Demontagen bringen Ein- und Durchsichten zustande, mit denen sich beengende Routinen aufdecken und „Verdauungs-“ und „Stoffwechselstörungen“ feststellen lassen, um gegenzusteuern und neue Spielräume zu erschließen.

Gleich, was Konflikte oder Entdeckungen beim Zeichnen auslösen oder zu denken geben, sichtbar und mitteilbar wird nur, was Hand und Stift an deutbaren Spuren hinterlassen. Das Auge spielt auch hier eine bedeutende Rolle, doch im Handwerk hat die Hand „das Sagen“. Sie bringt zum Ausdruck, was sie im Umgang mit den genutzten Arbeitsprothesen und „Verdauungswerkzeugen“ herausfinden konnte und zu formulieren weiß.

Zeichnen ist eine besondere Art des leiblichen Denkens und eines handgreiflichen Sehens, das durch Zeicheninstrumente enggeführt wird, Umwege nimmt und seine „Beute“ auf spezifische Weise abtastet, zubereitet und umwandelt. Zeichnen ergänzt andere inner- und außerkünstlerische Wahrnehmungsformen und bereichert durch besondere Genussformen und Einsichten.

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