Utopie und Melancholie der vaterlosen Gesellschaft
Psychoanalytische Studien zu Gesellschaft, Geschichte und Kultur
Robert Heim
Am Leitfaden des Begriffs der ‚vaterlosen Gesellschaft‘, wie ihn vor allem Alexander Mitscherlich prägte, thematisiert das Buch die aktualisierte Erklärungskraft der Freudschen Psychoanalyse in verschiedenen Anwendungsbereichen in Gesellschaft und Kultur. Drängende gesellschaftliche Probleme wie Fremdenhaß, Antisemitismus und die Stellung des Individuums in der Dynamik der Modernisierung werden mit Hilfe verschiedener theoretischer Ansätze der nachfreudschen Psychoanalyse untersucht. Überlegungen zum jugendlichen Rechtsextremismus, Studien zu literarischen Stoffen der Vater-Sohn-Beziehung sowie zum transgenerativen Erbe des Nationalsozialismus runden den Blick ab, den die heutige Psychoanalyse auf die Sozialpathologien der Moderne wirft.
Dabei gerät der therapeutische und methodische Kern der Freudschen Tradition nicht in Vergessenheit. Im Gemenge der neuesten Wissenschaftskulturen wird der Psychoanalyse – etwa im Rekurs auf die Chaostheorie – ein Ort zugewiesen, der ihre bisherige Klassifizierung zwischen szientistischer Naturwissenschaft des Seelischen, Hermeneutik und emanzipatorischem Erkenntnisinteresse übersteigt. Die Reflexionen des Buchs zum zeitgemäßen Standort der Psychoanalyse sondieren diese zwischen therapeutischer Behandlung, klinischer Theorie und den Sozial- und Kulturwissenschaften. Sie münden in die Herausforderungen, die eine entfesselte Informationsgesellschaft mit ihren Technologien von Cyberspace und virtueller Realität an das Freudsche Denken stellt. Je moderner die moderne Welt, je avancierter die moderne und postmoderne Telezivilisation, desto unvermeidlicher wird die Psychoanalyse im Zustand ihres objektiven Veraltens.