Wirkmächte des gesellschaftlichen Seins. 1. Mein-Selbst und Herrschaft von Ganahl,  Kay

Wirkmächte des gesellschaftlichen Seins. 1. Mein-Selbst und Herrschaft

Zum Selbst im gesellschaftlichen Sein und im Politischen

Was wird, wird ja eigentlich nicht: dies könnte die Befürchtung vieler Pessimisten sein, denen nicht klar ist, dass eine Gesellschaft in sich selbst prozessual eingerichtet ist; das Werden gilt für das menschliche Individuum wie für die Vielen. Geschichte entsteht aus dem Wirken vieler Einzelner sowie der wenigen bedeutenden Einzelnen, jedenfalls ist sie eine buchstäblich alles umfassende Geburt des Menschengeschlechts, welches ohne die Geschichtlichkeit auch kein inneres geistiges Leben entwickeln könnte. Und alles Denken, auch das über die Gesellschaft und die Politik, das als geistige Arbeit anzusehen ist, ist tief in dieser Geschichte verwurzelt.

Zumal der Glaube ist den Heutigen etwas Freies – besonders auf der Erd-Nordhalbkugel des 21. Jahrhunderts wird nach Belieben geglaubt, – gehofft und gewünscht. Mancher religiöse Glaube bedeutet für den Einzelnen konkrete Hoffnung, ist aber letztlich nur so ein Allerwelt-Bekenntnis für irgend etwas; ähnlich ergeht es den Anhängern von politischen Weltanschauungen. Sogar die Philosophie, im Grunde das einzig wahre Fundament des menschlichen Geistes, verfällt inzwischen teilweise der trüben Geschäftigkeit, wenngleich sich die Universität um die Erhaltung und den Ausbau der Philosophie gewissenhaft bemüht.

Das Leben von vielen Heutigen ist wohl zu einem Opfergang geworden, der als solcher meist weder subjektiv noch objektiv erkennbar ist. In der politischen Öffentlichkeit wird vor allem hörbar, was an den eigenen Überzeugungen und Interessen im Gegensatz zu denen der gegnerischen Anderen um so viel wichtiger sei. Eine Einseitigkeit des politischen Denkens zeichnet die Politiker des Tages aus. Behauptet wird jedoch standhaft immer wieder allerlei Positives, so eben geistige Weitläufigkeit sowie zahlreiche Kompetenzen, um bei der Wählerschaft einen guten Eindruck zu bewirken.
Viele Bürger wissen als Menschen in einer unübersichtlichen Konsumwelt der Konkurrenzen natürlich, wie wichtig die Verfolgung von individuellen, überwiegend materiellen Zielen und Zwecken ist, – von ernsten Lebensinhalten wird vieles verdeckt und bleibt einflusslos auf der Strecke. Man sollte sich daher keinen Illusionen über die Einflussmöglichkeiten des Einzelnen hingeben, besonders desjenigen, der mehr als nur eine bescheidene Mitwirkung am Ganzen des „Projekt Zukunft“ fordert.
Vielerorts wird nämlich lustvoll und laut politisiert, polemisiert, agitiert; gerissen transferiert und manipuliert – manchmal übersachlich-unverständlich argumentiert. In den neuen sozialen Internet-Netzwerken wird immer wieder ganz emsig versucht, auf die aktuelle Tagespolitik Einfluss zu nehmen. All das nennen politische Akteure und Medienvertreter in den Massenkommunikationsmitteln nur allzu gerne Freiheit der Rede.
Um metaphorisch zu sprechen: Der sich eher sinnlos drehende geistige Welt-Kreisel hat das kollektive Bewusstsein der Menschen – in vielen Ländern, besonders den hoch industrialisierten – erfasst. Information, in schnellstem Tempo verbreitet, ersetzt tragisch den tieferen individuellen Lebenssinn; hinterfragt wird noch am ehesten das, was gerade nicht den erwarteten Gewinn eingebracht hat. Zeitkritik ist erwünscht, erzielt jedoch kaum Wirkung. Übrigens ist ja fast alles erwünscht, was nicht gegen gültige Gesetze verstößt.
Es findet nicht etwa gerade ein kultureller Ab- oder gar Untergang statt, nein: der Boden der negativen Tatsachen ist längst erreicht worden.

Die Wirkmächte des gesellschaftlichen Seins existieren, werden aber kaum bemerkt. Deshalb müssen sie an das Licht des Tages gehoben werden, damit sie jedermann sehen kann. Jedwede gesellschaftliche Wirkung entfaltet sich nicht aus dem Nichts, sondern es sind Menschen, die sie zum Entstehen und zur Entfaltung, zur Entwicklung – umfassend zur Wirksamkeit bringen, die rational erfassbar und objektiv analysierbar ist. Menschen sind fähig des individuellen Handelns, nicht zuletzt politisch. Durchaus werden sie als Individuen mit dem gesellschaftlichen Phänomen Macht, auch mit Herrschaft konfrontiert, oft genug als Untergeordnete, so dass sie lediglich auf die gegen sie ausgeübte Macht reagieren müssen. Dass sich Herrschaft bildet, darf nicht als unvermeidbar gelten. Und eben auch das Phänomen Macht ist nichts, dem der Mensch wie etwas Naturgegebenem gegenüberstehen müsste.
Jedenfalls eine Wirkmacht kann in ihrem Ursprung nur das sein, was sich im gesellschaftlichen Sein personell-operativ oder institutionell als erkennbar wirksam zeigt. Und: „Mächte“ sind nicht nur – wie jedoch oft angenommen wird – solche der personell-operativen Herrschaftsausübung, wie zum Beispiel Positionsinhaber in Behörden und in Konzernen.

Wahrhaftig nichts Neues: in wirtschaftlichen Kategorien und gemäß wirtschaftlichen Kriterien wird von vielen Zeitgenossen gedacht und gehandelt. Daraus resultiert auch die skrupellose Vorteilsnahme gegen den Mitmenschen, der längst eher ein Gegenmensch ist; das liegt zweifellos an einem gegen den Geist der Humanität und der Gerechtigkeit, gegen die Toleranz und das Mitgefühl gerichteten Wirtschaftsdenken. Eigentlich zählt nur noch das Überleben im wirtschaftlichen Wettbewerb, wenn auch manches Sozialsystem schlimmste Auswirkungen abfedern kann.
In oben Geschildertem ist der große gesellschaftliche Konflikt zu erkennen, der in verschiedenen Formen durch die Zeiten und Gesellschaften wandelt. Das ist ein Konflikt, welcher schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Gesellschaften des Westens, heute auch anderer Weltgegenden, voll erfasst hat!

Es sei hier die bekannte Journalistin Marion Gräfin Dönhoff zitiert: „Und unsere so erfolgreiche westliche Gesellschaft? Betrachtet man sie einmal von außen, wie ein Unbeteiligter, dann könnte man meinen, unsere Sozial- und Wirtschaftsordnung sei bereits auf dem Abstieg, denn ihre positiven wirtschaftlichen Folgen zeitigen natürlich auch negative Begleiterscheinungen. Das Engagement für das Ganze, also für Staat und Gesellschaft, hat einem erschreckenden Egoismus Platz gemacht. Karriere und Geld nehmen jetzt die erste Stelle ein.“ – Marion Gräfin Dönhoff: „Macht und Moral. Was wird aus der Gesellschaft?“, S. 35 (2000 Köln)

Wenn man bedenkt, wie klar in diesen Worten Dönhoffs die obige gesellschaftliche Diagnose bestätigt wird … Dönhoff war eine von vielen kritischen Geistesgrößen, die ein Recht auf noch mehr Gehör gehabt hätten.
Schnell kommt der Gedanke an die Aussichtslosigkeit eines jeden Kontra-Engagements auf, sobald es darum geht, die eigenen psychischen Kräfte, die in der Philosophie der Wirkmacht Mein-Selbst eine Gestalt erhalten, gegen die gesellschaftliche Beharrung einzusetzen, die nur zu clever die neuen Techniken der Zeit zu ihrem Vorteil verwendet.

Kay Ganahl

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