Wird hierzulande öffentlich über den politischen Islam debattiert, dann geht es zumeist um Kopftücher, Moscheen oder islamistische Anschläge in Europa. Selten geht es darum, wie jener den Alltag eines Großteils der Weltbevölkerung prägt, wie durch ihn das Leben der Menschen insbesondere in der sogenannten islamischen Welt regelmäßig ein beengtes und gefährliches ist. Während der politische Islam im Nahen und Mittleren Osten, seinem historischen Zentrum, trotz anhaltender Herrschaft und Gewalt an Rückhalt zu verlieren droht, was sich in stets wiederkehrenden oppositionellen Protesten zeigt, scheint er seinen gesellschaftlichen und politischen Einfluss in Afrika, Europa und Südostasien auszuweiten. Der Band beleuchtet die Entwicklung des politischen Islam in verschiedenen Regionen der Welt, fragt nach dessen Verschiebung vom »Zentrum« an die »Peripherie« und thematisiert das patriarchale Geschlechterverhältnis sowie den Antisemitismus als tragende Säulen der zugrunde liegenden Ideologie.
Aktualisiert: 2023-05-04
Autor:
Ulrike Becker,
Andreas Benl,
Danyal Casar,
Timo Duile,
Stephan Grigat,
Jonathan Guggenberger,
Heiko Heinisch,
Fatma Keser,
Ruud Koopmans,
Jonas Krutthoff,
Matthias Küntzler,
Miriam Mettler,
Oliver Piecha,
Jörg Rensmann,
Daniel Rickenbacher,
Felix Riedel,
Thomas Ruttig,
Tina Sanders,
David Schmidt,
Andreas Stahl,
Thomas von der Osten-Sacken,
Maria Wöhr
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Die Zeitschrift sans phrase verfolgt kein ‘Programm’, weder ein theoretisches noch ein politisches: Ihr einziges Interesse besteht in Ideologiekritik – darin, dem kollektiv wirksamen Wahn zu widersprechen in dem Wissen, dass er dem Innersten der Gesellschaft entspringt, dort, wo das Subjekt die Krise ‘bewältigt’, die das Kapitalverhältnis seinem Wesen nach ist. Der so gefasste Vorrang des Objekts erfordert allerdings einen Subjektbegriff, der in dem der Charaktermaske nicht aufgeht: Das notwendig falsche Bewusstsein in seiner Notwendigkeit zu durchschauen, setzt Freiheit voraus, wie jeder kategorische Imperativ sie beinhaltet – erst recht der von Marx, “alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist”. Ideologiekritik bedeutet damit nichts anderes, als das Existentialurteil zu entfalten, dessen Abbreviatur nach Adorno lautet: “Das Ganze ist das Unwahre”. Doch wie das Unwahre selbst bestimmt, d.h. negiert wird, kann es per se niemals unabhängig von geschichtlicher Erfahrung sein und ist damit unabdingbar angewiesen auf den neuen kategorischen Imperativ: noch im Stande der Unfreiheit die Freiheit zu behaupten, “Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole”. Solche Dialektik ist negativ, das heißt: sie gibt das Antinomische in keinem ihrer Begriffe preis. Aufzulösen wäre es nur, wenn jener Marxsche Imperativ in die Tat umgesetzt würde. Ein Verständnis hingegen, das Wirklichkeit nicht in Begriffen erschließt, die sich selbst kritisieren können, herrscht dieser Wirklichkeit das im Geld repräsentierte Mit-sich-selbst-identisch-Sein als eine ihr angeblich von Natur aus zukommende Eigenschaft auf. Anders, mit Freud gesagt: wer sich die Welt nur als Ansammlung von Zeichen denkt, macht sich unfähig, reale, von ihm getrennte Objekte libidinös zu besetzen. Essayistisches Schreiben, das es allein rechtfertigt, eine Zeitschrift zu gründen, führt darum auch nicht Idiosynkrasien narzisstisch vor – und weiß dennoch, was es ihnen verdankt: Von ihnen zehrt der Gedanke, der über die Begriffslogik hinausgeht; sie sind die einzig mögliche – unmittelbare – Anwesenheit des Leibs im Denken. Aber auf sie sich einzuschränken und auf Begriffsbestimmung zu verzichten, wäre wiederum Regression des Denkens. Diese Gratwanderung hat die Begrifflichkeit des Essays mit dem Formsinn der Kunstwerke gemein. Nur fehlt ihr deren Evokationskraft, und schon deshalb kann sie sich selbst ohne Reflexion aufs Ästhetische im engeren Sinn nicht wirklich entwickeln. Die Zeitschrift ist dabei wie in allen anderen Fragen der Kritik keineswegs pluralistisch. Sie hat nicht zuletzt das Ziel, den Konsens, auf den der Pluralist sich berufen muss, als der Form Kapital äquivalent bloßzulegen. Aber sie verteidigt mit größtem Engagement noch den Pluralismus gegen autoritäres Potential wie antiautoritäre Gewaltphantasie, die ihm selbst entspringen und beide – von attac bis occupy und Kommendem Aufstand – so auffällig die antikapitalistische Regression der Gegenwart kennzeichnen, terminierend in den schlimmsten Formen des Politischen: deutscher Ideologie und deren djihadistischer Fortsetzung. Die totale Vermittlung, die durchs Unwesen Kapital gesetzt ist, und das auf Totalität zielende Ungeheuer, das sie beseitigt, sind von der Kritik als Einheit zu begreifen, und dennoch dürfen sie ihr nicht eins sein, will sie ein Bewusstsein ihrer eigenen Voraussetzungen haben. Wissenschaftliche Abhandlungen zu veröffentlichen, überlässt die Zeitschrift den dafür zuständigen Institutionen. In ihr werden keine Diskurse oder Narrative beschworen oder analysiert, denn dies ist die Selbstzerstörung des Pluralismus: Sie rufen in ihrer bewusst im Unverbindlichen gehaltenen Form und ihrem den Wahrheitsbegriff leugnenden Inhalt letztlich jenen Gegensouverän auf den Plan, der die Gesellschaft nicht nur auflöst in diffuse barbarische Vielheit. Anders als der Souverän, der die Form als Ausbeutungsform objektiviert, das heißt als ewig und allgemein verbindlich mittels Todesdrohung zu garantieren vorgibt, polt sie sein in der Krise notwendig auftauchender Kontrahent inhaltlich gezielt auf Vernichtung um der Vernichtung willen. Am Hass, der Israel entgegenschlägt, weiß diese Zeitschrift darum sans phrase die heute gefährlichste Konsequenz solchen Wahns zu erkennen und zu denunzieren.
Aktualisiert: 2022-11-22
Autor:
Alexandra Bandl,
Markus Bitterolf,
Felix Brandner,
Joachim Bruhn,
Bruno Chaouat,
Manfred Dahlmann,
Thorsten Fuchshuber,
Till Gathmann,
Caroline B. Glick,
Norman J. W. Goda,
Georges-Arthur Goldschmidt,
Oskar Maria Graf,
Alex Gruber,
Luis Gruhler,
Michael Heidemann,
David Hellbrück,
Miriam Mettler,
Gerhard Scheit,
Ksenia Svetlova,
Jonathan S. Tobin,
Alex Traiman
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Im Sommer 2022 jährt sich der Libanonkrieg zum 40. Mal: 1982 rief Israels Libanon-Offensive heftige Reaktionen in der westlichen Öffentlichkeit hervor, die damals noch nicht zum Standardrepertoire der Berichterstattung gehörten. In den Massenmedien wurde der jüdische Staat des Völkermords an der palästinensischen Bevölkerung bezichtigt und die Israel angekreideten Verbrechen mit denen der Nazis gleichgesetzt. Während in der arabischen Welt und den meisten sozialistischen Staaten diese Gleichsetzung bereits seit Israels Staatsgründung im Jahr 1948 an der Tagesordnung war, bedurfte es in der westlichen Welt, wie Léon Poliakov anhand eindrücklicher Beispiele und Quellen nachweist, einer längeren Entwicklung, um diese Form antisemitischer Desinformation für sich zu entdecken und zu popularisieren.
Poliakov war diese Neuerung Anlass für seinen 1983 auf Französisch publizierten Essay De Moscou à Beyrouth. Essai sur la désinformation, der nun zum ersten Mal in deutscher Sprache erscheint. Hier analysiert er die antisemitische Propaganda und die damit einhergehenden judenfeindlichen Exzesse, die sich im Zuge der israelischen Intervention im Libanonkrieg bahnbrachen. Um zu beantworten, wie es so weit kommen konnte, zeichnet er die Entwicklung des Antisemitismus im 20. Jahrhundert nach, insbesondere die Transformation, die dieser in der Sowjetunion erfuhr, und schildert die zentrale Rolle, die die stalinistische Propaganda hierbei spielte.
Er beschreibt die Radikalisierung des arabischen Antisemitismus durch die Protokolle der Weisen von Zion, die als Schlüsseldokument des modernen Antisemitismus betrachtet werden können. Diese Propagandaschrift leistete der Projektion einer jüdischen Weltverschwörung Vorschub und ermöglichte es so, die Juden zu den neuen Nazis zu erklären. Ein Wahn, der als wesentliche Ursache der vermeintlichen Unlösbarkeit des Konflikts zwischen der arabischen Welt und Israel betrachtet werden kann. Eine Tatsache, von der diejenigen, die Israel unter Verweis auf das ›Völkerrecht‹ zur Mäßigung auffordern, bis heute geflissentlich absehen.
Insbesondere in Zentraleuropa bedurfte es des antiimperialistischen und antizionistischen Turns der 68er-Bewegung, um die einstigen Sympathien für den jungen jüdischen Staat in die Vorstellung vom berufspalästinensischen ›Unterdrückten‹ als revolutionärem Subjekt zu verschieben. Zwei Wendepunkte sind für den Autor dabei zentral: 1967, als im Zuge des Sechstagekriegs das Bild des verfolgten Juden durch das des Siegers und Unterdrückers ersetzt wurde; und der Mai 1968, als ein Teil der Jugend, von den revolutionären Kämpfen der Dritten Welt berauscht, die PLO romantisierte und auf den gleichen Sockel hob wie den Vietcong. Poliakov widmet sich insbesondere den ideologischen Brüchen in den 1970er Jahren, den sich wandelnden Formen des Antisemitismus in der arabischen Welt und der politischen Linken. Er zeigt die Macht der sowjetischen und arabischen Propaganda auf, die weltweit auf vielfältige Weise verbreitet wurde, um Israel international zu kompromittieren und es – wie Poliakov konstatiert – zum »Juden der Nationen« zu machen.
Von Moskau nach Beirut stellt eine politische Intervention für Israel und gegen die modernen Formen des Antisemitismus dar. Der Essay kann gleichwohl als Fortsetzung von Poliakovs Schrift Vom Antizionismus zum Antisemitismus (1967, Calmann-Lévy; 1992, ça ira) begriffen werden. Hatte er dort bereits unmittelbar nach dem Sechstagekrieg den Antisemitismus im Gewand des Antizionismus erkannt, so weist Poliakov in dieser Schrift nach, dass im Sommer 1982 die antiisraelische Propaganda zu einer Aufhebung aller Schranken und Tabus führte, die den Antisemitismus seit der Shoah noch irgendwie eingehegt hatten.
Aktualisiert: 2023-03-30
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Die Zeitschrift sans phrase verfolgt kein ‘Programm’, weder ein theoretisches noch ein politisches: Ihr einziges Interesse besteht in Ideologiekritik – darin, dem kollektiv wirksamen Wahn zu widersprechen in dem Wissen, dass er dem Innersten der Gesellschaft entspringt, dort, wo das Subjekt die Krise ‘bewältigt’, die das Kapitalverhältnis seinem Wesen nach ist. Der so gefasste Vorrang des Objekts erfordert allerdings einen Subjektbegriff, der in dem der Charaktermaske nicht aufgeht: Das notwendig falsche Bewusstsein in seiner Notwendigkeit zu durchschauen, setzt Freiheit voraus, wie jeder kategorische Imperativ sie beinhaltet – erst recht der von Marx, “alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist”.
Ideologiekritik bedeutet damit nichts anderes, als das Existentialurteil zu entfalten, dessen Abbreviatur nach Adorno lautet: “Das Ganze ist das Unwahre”. Doch wie das Unwahre selbst bestimmt, d.h. negiert wird, kann es per se niemals unabhängig von geschichtlicher Erfahrung sein und ist damit unabdingbar angewiesen auf den neuen kategorischen Imperativ: noch im Stande der Unfreiheit die Freiheit zu behaupten, “Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole”.
Solche Dialektik ist negativ, das heißt: sie gibt das Antinomische in keinem ihrer Begriffe preis. Aufzulösen wäre es nur, wenn jener Marxsche Imperativ in die Tat umgesetzt würde. Ein Verständnis hingegen, das Wirklichkeit nicht in Begriffen erschließt, die sich selbst kritisieren können, herrscht dieser Wirklichkeit das im Geld repräsentierte Mit-sich-selbst-identisch-Sein als eine ihr angeblich von Natur aus zukommende Eigenschaft auf. Anders, mit Freud gesagt: wer sich die Welt nur als Ansammlung von Zeichen denkt, macht sich unfähig, reale, von ihm getrennte Objekte libidinös zu besetzen.
Essayistisches Schreiben, das es allein rechtfertigt, eine Zeitschrift zu gründen, führt darum auch nicht Idiosynkrasien narzisstisch vor – und weiß dennoch, was es ihnen verdankt: Von ihnen zehrt der Gedanke, der über die Begriffslogik hinausgeht; sie sind die einzig mögliche – unmittelbare – Anwesenheit des Leibs im Denken. Aber auf sie sich einzuschränken und auf Begriffsbestimmung zu verzichten, wäre wiederum Regression des Denkens. Diese Gratwanderung hat die Begrifflichkeit des Essays mit dem Formsinn der Kunstwerke gemein. Nur fehlt ihr deren Evokationskraft, und schon deshalb kann sie sich selbst ohne Reflexion aufs Ästhetische im engeren Sinn nicht wirklich entwickeln.
Die Zeitschrift ist dabei wie in allen anderen Fragen der Kritik keineswegs pluralistisch. Sie hat nicht zuletzt das Ziel, den Konsens, auf den der Pluralist sich berufen muss, als der Form Kapital äquivalent bloßzulegen. Aber sie verteidigt mit größtem Engagement noch den Pluralismus gegen autoritäres Potential wie antiautoritäre Gewaltphantasie, die ihm selbst entspringen und beide – von attac bis occupy und Kommendem Aufstand – so auffällig die antikapitalistische Regression der Gegenwart kennzeichnen, terminierend in den schlimmsten Formen des Politischen: deutscher Ideologie und deren djihadistischer Fortsetzung. Die totale Vermittlung, die durchs Unwesen Kapital gesetzt ist, und das auf Totalität zielende Ungeheuer, das sie beseitigt, sind von der Kritik als Einheit zu begreifen, und dennoch dürfen sie ihr nicht eins sein, will sie ein Bewusstsein ihrer eigenen Voraussetzungen haben.
Wissenschaftliche Abhandlungen zu veröffentlichen, überlässt die Zeitschrift den dafür zuständigen Institutionen. In ihr werden keine Diskurse oder Narrative beschworen oder analysiert, denn dies ist die Selbstzerstörung des Pluralismus: Sie rufen in ihrer bewusst im Unverbindlichen gehaltenen Form und ihrem den Wahrheitsbegriff leugnenden Inhalt letztlich jenen Gegensouverän auf den Plan, der die Gesellschaft nicht nur auflöst in diffuse barbarische Vielheit. Anders als der Souverän, der die Form als Ausbeutungsform objektiviert, das heißt als ewig und allgemein verbindlich mittels Todesdrohung zu garantieren vorgibt, polt sie sein in der Krise notwendig auftauchender Kontrahent inhaltlich gezielt auf Vernichtung um der Vernichtung willen.
Am Hass, der Israel entgegenschlägt, weiß diese Zeitschrift darum sans phrase die heute gefährlichste Konsequenz solchen Wahns zu erkennen und zu denunzieren.
Aktualisiert: 2023-04-19
Autor:
Theodor W. Adorno,
Jonathan Ariel,
Rainer Bakonyi,
Rolf Bossart,
Joachim Bruhn,
Manfred Dahlmann,
Georges-Arthur Goldschmidt,
Florian Hessel,
Stephan Jungk,
Albert Memmi,
Miriam Mettler,
Robert Minder,
Frank Mueller,
Gerhard Scheit,
Katrin G. Schuster,
Christian Thalmaier,
Lea Wiese
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Zahlreiche Zeitdiagnosen kreisen um den gemeinhin unerwarteten Aufstieg autoritärer Parteien und Bewegungen, der gegenwärtig weltweit zu beobachten ist. Knüpft man indes an die Erkenntnisse der frühen Frankfurter Schule zum autoritären Charakter an, so überrascht die Attraktivität der neuen »falschen Propheten« keineswegs. In rund 20 Aufsätzen diskutieren die Autorinnen und Autoren dieses Sammelbandes das Erklärungspotenzial einer psychoanalytisch informierten kritischen Theorie des Autoritarismus angesichts veränderter gesellschaftlicher Bedingungen.
Aktualisiert: 2021-09-29
Autor:
Jens Benicke,
Simon Dämgen,
Oliver Decker,
Ingo Elbe,
Jan Gerber,
Katrin Henkelmann,
Maurits Heumann,
Charlotte Höcker,
Christian Jäckel,
David Jäger,
Christine Kirchhoff,
Moritz Liewerscheidt,
Miriam Mettler,
Björn Milbradt,
Oliver Nachtwey,
Klaus Ottomeyer,
Enrico Pfau,
Ljiljana Radonic,
Lars Rensmann,
Samuel Salzborn,
Julia Schüler,
Peter Schulz,
Michael Schüßler,
Andreas Stahl,
Karin Stögner,
Tom Uhlig,
Jan Weyand,
Sebastian Winter,
Niklas Wünsch,
Benedikt Zopes
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"Der modische Faktor, der aller Aktualität innewohnt, entschleiert sich bei genauer Betrachtung als irrational", hält Jean Améry 1971 fest. Erscheine ein bestimmter Autor zu einem bestimmten Zeitpunkt als unmodern oder inaktuell, so sage dies "über die Gültigkeit seiner Gedanken ebensowenig aus wie das Urteil, die Maximode sei schon passé, über deren ästhetischen Wert".
Die Texte des jüdischen Schriftstellers Jean Améry, der den Holocaust überlebte, haben an Prägnanz und ästhetischem Wert seit jenen Jahren nicht verloren, da er als politischer Essayist, Romancier und philosophischer Autor weitestgehend in Vergessenheit geraten war. Der hiermit vorgestellte 1. Band der neu gegründeten Schriftenreihe "kommunikation & kultur" versammelt Vorträge, die im November 2012 anläßlich des 100. Geburtstags von Améry auf der Tagung "An den Grenzen des Geistes" des Instituts für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin in der Berliner Akademie der Künste gehalten wurden. Um dem Améryschen Denken möglichst umfassend gerecht zu werden, behandelten die Referenten sehr unterschiedliche Aspekte seines Werks. Diskutiert wurden Schriften Amérys, die sich dem von ihm konstatierten "Terror der Aktualität" beugen und zu politischen Themen - vor allem zum Wiederaufleben des Antisemitismus - Stellung beziehen. Ganz im Sinne Amérys richtete sich dabei das Interesse insbesondere auf die philosophischen Implikationen - gleichsam auf das Überaktuelle seiner Erfahrung bis ins Heute! Als exemplarisch für die klarsichtige und scharfe Analyse Amérys von Theorie und Gesellschaft kann der im Anhang zum ersten Mal ungekürzt publizierte Aufsatz "Der abgeschaffte Mensch. Blick in die Welt des Strukturalismus" gelten, die bereits 1967 als Kritik des damals gerade aufkommenden Strukturalismus entstand.
Aktualisiert: 2023-02-14
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„Der modische Faktor, der aller Aktualität innewohnt, entschleiert sich bei genauer Betrachtung als irrational“, hält Jean Améry 1971 fest. Erscheine ein bestimmter Autor zu einem bestimmten Zeitpunkt als unmodern oder inaktuell, so sage dies „über die Gültigkeit seiner Gedanken ebensowenig aus wie das Urteil, die Maximode sei schon passé, über deren ästhetischen Wert“. Die Texte des jüdischen Schriftstellers Jean Améry, der den Holocaust überlebte, haben an Prägnanz und ästhetischem Wert seit jenen Jahren nicht verloren, da er als politischer Essayist, Romancier und philosophischer Autor weitestgehend in Vergessenheit geraten war. Der hiermit vorgestellte 1. Band der neu gegründeten Schriftenreihe kommunikation & kultur versammelt Vorträge, die im November 2012 anläßlich des 100. Geburtstags von Améry auf der Tagung An den Grenzen des Geistes des Instituts für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin in der Berliner Akademie der Künste gehalten wurden. Um dem Améryschen Denken möglichst umfassend gerecht zu werden, behandelten die Referenten sehr unterschiedliche Aspekte seines Werks. Diskutiert wurden Schriften Amérys, die sich dem von ihm konstatierten „Terror der Aktualität“ beugen und zu politischen Themen – vor allem zum Wiederaufleben des Antisemitismus – Stellung beziehen. Ganz im Sinne Amérys richtete sich dabei das Interesse insbesondere auf die philosophischen Implikationen – gleichsam auf das Überaktuelle seiner Erfahrung bis ins Heute! Als exemplarisch für die klarsichtige und scharfe Analyse Amérys von Theorie und Gesellschaft kann der im Anhang zum ersten Mal ungekürzt publizierte Aufsatz Der abgeschaffte Mensch. Blick in die Welt des Strukturalismus gelten, die bereits 1967 als Kritik des damals gerade aufkommenden Strukturalismus entstand. Er bescheinigt der vordem „neusten Mode“ bereits jenes regressiv-irrationalistische Moment, das spätestens im Poststrukturalismus zu voller Wirkung gelangte und den poststrukturalistischen Trend im geisteswissenschaftlichen Mainstream ideologisch vorbereitet hat - ein Trend, der von menschlicher Erfahrung und Erkenntnis nichts mehr wissen will.
Aktualisiert: 2023-04-04
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