In vier Bänden wird der Briefwechsel Ludwig von Fickers aus der Zeit von 1909 bis zu seinem Tode 1967 in reicher Auswahl veröffentlicht. Mit dem Erscheinen dieser Bände ist nun das zu Lebzeiten freiwillig gewählte Inkognito eines Schriftstellers preisgegeben, der bisher, als „Typ“, nie recht zu fassen war. Gerade weil man seinen Namen legendenhaft in die Aura einbegriffen sah, die den Namen seines Freundes Georg Trakl umgibt, glaubte man der unverkennbar eigenen Sehweise und Denkökonomie dieses „Freundes und Förderers“ nicht näher treten zu müssen, von dem man außerhalb der enger befaßten Wissenschaft und eines Kreises von Freunden bestenfalls weiß, daß er in den Jahren von 1910 bis 1954 in Innsbruck die Zeitschrift „Der Brenner“ herausgegeben hat.
Jetzt stellt sich heraus: hier ereignet sich in vielfacher Brechung deutschsprachiger Literatur unseres Jahrhunderts. Wenn es so etwas wie „Zeitgeist“ gibt: hier erscheint er – mit wechselndem Gesichtsausdruck – krisengeschüttelte Jahrzehnte hindurch exemplarisch eingefangen. Und es geht nicht nur um die Literatur. Der Briefwechsel spiegelt – „interdiszipliär“ – auch Durchbruchsvorgänge in der Malerei, in der Musik, in der Philosophie und Theologie.
Dennoch repräsentiert der Briefwechsel keine Schule oder Richtung. Da ist kein festgefügter geistiger Standpunkt selbstgewiß vorgetragen, keine literarische „Aktion“ absichtsvoll für die Nachgeborenen zum Dokument einer geistigen Bewegtheit, die zwei Weltzusammenbrüche – ohne Anpassung, ohne Resignation – überlebte, somit zum Dokument einer Tradition, die uns – als zukunftsschließende Energie – heute stark anrührt.
Das „Eigenständige“ an Ludwig von Fickers Persönlichkeit bestand darin, sich zu anderen, deren eigenständige Begabung er oftmals früher und tiefer witterte als sie selbst, in ein Verhältnis zu setzen, das ihnen die Selbstfindung ermöglichte, zumindest erleichterte. In diesen Briefen schöpft nicht ein autonomes Ich Weisheiten aus einem brunnentiefen Verlies der Lebenserfahrung. Hier stellt sich einer unausgesetzt in Frage, um Begegnungen herzustellen, um Licht in künftige Verhältnisse zu bringen. Deshalb bewegte sich Ficker in seinem brieflichen Austausch immer auf der Höhe der Zeit. „Hora et tempus est“ war das Motto des „Brenner“.
Der vierte Band schließt mit 165 Briefpartnerinnen und Briefpartnern in 396 Briefen die Auswahl aus dem Briefwechsel Ludwig von Fickers ab.
Während des Zweiten Weltkriegs steht neben der Korrespondenz mit jungen Frontsoldaten die Auseinandersetzung um Orientierungsmöglichkeiten in der zeitbedingten Notlage wie in der Ausgesetztheit überhaupt. Themen und Problemlagen der Nachkriegszeit kristallisieren sich im Briefwechsel mit Martin Heidegger sowie in den daran anschließenden Kontroversen Ludwig von Fickers mit der jüngeren Generation und einer ihrer markanten Leitfiguren während der 60er Jahre: Theodor W. Adorno.
Bis an sein Lebensende hielt Ficker engsten Kontakt mit Künstlern und Künstlerinnen: Paul Celan, Christine Levant, Christine Buste, Michael Guttenbrunner, Thomas Bernhard, Hilde Nöbl, Paul Flora, Max Weiler, Oskar Kokoschka, Werner Berg, Alfred Kubin, Hans Erich Apostel. Sein Hauptaugenmerk richtete sich bis zum Ende des „Brenner“ (1945) auf dessen Konzept, was den Briefwechsel auch zur Geschichte dieser Zeitschrift werden läßt.
Aktualisiert: 2020-05-06
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In vier Bänden wird der Briefwechsel Ludwig von Fickers aus der Zeit von 1909 bis zu seinem Tode 1967 in reicher Auswahl veröffentlicht. Mit dem Erscheinen dieser Bände ist nun das zu Lebzeiten freiwillig gewählte Inkognito eines Schriftstellers preisgegeben, der bisher, als „Typ“, nie recht zu fassen war. Gerade weil man seinen Namen legendenhaft in die Aura einbegriffen sah, die den Namen seines Freundes Georg Trakl umgibt, glaubte man der unverkennbar eigenen Sehweise und Denkökonomie dieses „Freundes und Förderers“ nicht näher treten zu müssen, von dem man außerhalb der enger befaßten Wissenschaft und eines Kreises von Freunden bestenfalls weiß, daß er in den Jahren von 1910 bis 1954 in Innsbruck die Zeitschrift „Der Brenner“ herausgegeben hat.
Jetzt stellt sich heraus: hier ereignet sich in vielfacher Brechung deutschsprachiger Literatur unseres Jahrhunderts. Wenn es so etwas wie „Zeitgeist“ gibt: hier erscheint er – mit wechselndem Gesichtsausdruck – krisengeschüttelte Jahrzehnte hindurch exemplarisch eingefangen. Und es geht nicht nur um die Literatur. Der Briefwechsel spiegelt – „interdiszipliär“ – auch Durchbruchsvorgänge in der Malerei, in der Musik, in der Philosophie und Theologie.
Dennoch repräsentiert der Briefwechsel keine Schule oder Richtung. Da ist kein festgefügter geistiger Standpunkt selbstgewiß vorgetragen, keine literarische „Aktion“ absichtsvoll für die Nachgeborenen zum Dokument einer geistigen Bewegtheit, die zwei Weltzusammenbrüche – ohne Anpassung, ohne Resignation – überlebte, somit zum Dokument einer Tradition, die uns – als zukunftsschließende Energie – heute stark anrührt.
Das „Eigenständige“ an Ludwig von Fickers Persönlichkeit bestand darin, sich zu anderen, deren eigenständige Begabung er oftmals früher und tiefer witterte als sie selbst, in ein Verhältnis zu setzen, das ihnen die Selbstfindung ermöglichte, zumindest erleichterte. In diesen Briefen schöpft nicht ein autonomes Ich Weisheiten aus einem brunnentiefen Verlies der Lebenserfahrung. Hier stellt sich einer unausgesetzt in Frage, um Begegnungen herzustellen, um Licht in künftige Verhältnisse zu bringen. Deshalb bewegte sich Ficker in seinem brieflichen Austausch immer auf der Höhe der Zeit. „Hora et tempus est“ war das Motto des „Brenner“.
DER ZWEITE BAND mit 391 Briefen von 99 Autoren ist wie ein von selbst zum Epitaph für Georg Trakl geraten. Dessen letzte Lebenszeit und Tod sind mit allem verfügbaren Quellenaufwand dokumentiert, auch in den ungeklärten Aspekten. Neben Ficker zeigen sich auch andere erschüttert: die Schwester Grete, Karl Kraus, Oskar Kokoschka, Else Lasker-Schüler und Ludwig Wittgenstein, zu dessen Briefen an Ficker nun erstmals die Antworten vorliegen.
Unerbitterlicher Geschehens-Katalysator: der Erste Weltkrieg. Entbehrungen und oft äußerste Gefahr jahrelangen Frontdienstes, und spürbar die Vereinsamung und Sprachlosigkeit, in die er führte. Das vielgestaltige kulturelle Räsonnement der Vorkriegszeit wandelt sich zur pochenden Gewissensfrage nach der eigenen Mitschuld am Verhängnis. Daraus erwächst das Konzept des neuen „Brenner“. Ein Konzept unter dessen Einschluß des Konflikts zwischen so gegensätzlichen Erscheinungen wie Carl Dallago, Theodor Haecker und Ferdinand Ebner. Die Zerreißproben, denen Zeitschrift und Herausgeber sich aussetzen, machen viel von den damaligen Zeit-Widersprüchen faßbar.
Aktualisiert: 2020-05-06
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In vier Bänden wird der Briefwechsel Ludwig von Fickers aus der Zeit von 1909 bis zu seinem Tode 1967 in reicher Auswahl veröffentlicht. Mit dem Erscheinen dieser Bände ist nun das zu Lebzeiten freiwillig gewählte Inkognito eines Schriftstellers preisgegeben, der bisher, als „Typ“, nie recht zu fassen war. Gerade weil man seinen Namen legendenhaft in die Aura einbegriffen sah, die den Namen seines Freundes Georg Trakl umgibt, glaubte man der unverkennbar eigenen Sehweise und Denkökonomie dieses „Freundes und Förderers“ nicht näher treten zu müssen, von dem man außerhalb der enger befaßten Wissenschaft und eines Kreises von Freunden bestenfalls weiß, daß er in den Jahren von 1910 bis 1954 in Innsbruck die Zeitschrift „Der Brenner“ herausgegeben hat.
Jetzt stellt sich heraus: hier ereignet sich in vielfacher Brechung deutschsprachiger Literatur unseres Jahrhunderts. Wenn es so etwas wie „Zeitgeist“ gibt: hier erscheint er – mit wechselndem Gesichtsausdruck – krisengeschüttelte Jahrzehnte hindurch exemplarisch eingefangen. Und es geht nicht nur um die Literatur. Der Briefwechsel spiegelt – „interdiszipliär“ – auch Durchbruchsvorgänge in der Malerei, in der Musik, in der Philosophie und Theologie.
Dennoch repräsentiert der Briefwechsel keine Schule oder Richtung. Da ist kein festgefügter geistiger Standpunkt selbstgewiß vorgetragen, keine literarische „Aktion“ absichtsvoll für die Nachgeborenen zum Dokument einer geistigen Bewegtheit, die zwei Weltzusammenbrüche – ohne Anpassung, ohne Resignation – überlebte, somit zum Dokument einer Tradition, die uns – als zukunftsschließende Energie – heute stark anrührt.
Das „Eigenständige“ an Ludwig von Fickers Persönlichkeit bestand darin, sich zu anderen, deren eigenständige Begabung er oftmals früher und tiefer witterte als sie selbst, in ein Verhältnis zu setzen, das ihnen die Selbstfindung ermöglichte, zumindest erleichterte. In diesen Briefen schöpft nicht ein autonomes Ich Weisheiten aus einem brunnentiefen Verlies der Lebenserfahrung. Hier stellt sich einer unausgesetzt in Frage, um Begegnungen herzustellen, um Licht in künftige Verhältnisse zu bringen. Deshalb bewegte sich Ficker in seinem brieflichen Austausch immer auf der Höhe der Zeit. „Hora et tempus est“ war das Motto des „Brenner“.
DER DRITTE BAND mit 279 Briefen von 85 Autoren zeigt den "Brenner" und seinen Herausgeber in besonderer Weise, dem Gegenwind der politischen Zeitgeschichte ausgesetzt. In kaum überbietbarer Schärfe kritisiert Carl Dallageo 1926 den Mussolini-Faschismus: er muß sofort nach Nordtirol übersiedeln. Die 13. Folge des "Brenner" (1932) mit Haeckers "Reich"-Aufsatz darf ab 1933 nur mehr mit geschwärzten Seiten nach Deutschland ausgeliefert werden. Theodor Haecker erhält im nationalsozialistischen Deutschland Rede- und Schreibverbot. Fickers Korrespondenzen mit Wilhelm Kütemeyer und Alfred Baeumler zeigen Ficker und den "Brenner" zentral im Entscheidungsbereich der jungen deutschen Intelligenz zwischen Marxismus, aufkeimender nationalsozialistischer Ideologie und einem kierkegaardisch verstandenen Christentum.
Mit Fickers Rückkehr zur Katholischen Kirche 1933 vollzieht auch der "Brenner" eine exemplarische Wende, freilich mit anderen Konsequenzen, als der politische Katholizismus sie damals erwarten ließ.
Ficker steht mit vielen Juden in Verbindung, die in den 30er Jahren ins Exil gehen müssen, auf mit dem vom Judentum konvertierten Kaplan Johannes Österreicher, der in Wien "Die Erfüllung" herausgibt, damals die einzige Zeitschrift in Österreich, die sich um eine Versöhnung von Christentum und Judentum bemüht.
Gleichfalls von Wien aus versucht August Zechmeister - vom Geist des "Brenner" erfüllt - Christentum und Sozialdemokratie zusammenzubringen, um in Österreich die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus zu verhindern. Im selben angestrengten Bemühen schickt Hermann Broch 1937 seine "Völkerbund-Resolution" an Ludwig von Ficker, ein Manifest, sozusagen in letzter Minute, zur Wahrung des Friedens, der Menschenwürde und der Menschenrechte.
Aktualisiert: 2020-05-06
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