Mit Hilfe der vorliegenden Studie wurde die Konsistenz der röntgenologisch und computertomographisch am caninen Processus coronoideus medialis ulnae (PCM) erhobenen Befunde im Ellbogengelenkdysplasie-Obergutachten überprüft. Insbesondere sollte untersucht werden, ob es röntgenologische oder computertomographische Parameter gibt, die einen Einfluss auf die Beurteilung des PCM im Röntgen haben. Ziel der Studie war die Erarbeitung von Beurteilungskriterien für die Zuchtselektion nach denen eine röntgenologische Untersuchung durch eine computertomographische Evaluation des Ellbogengelenks ergänzt werden kann.
Im Rahmen des Obergutachtens wurden von 70 Hunden sowohl Röntgenbilder, als auch Computertomographien der Articulationes cubiti angefertigt. Es wurden 5 röntgenologische und 18 computertomographische Variablen und deren Zusammenhänge untersucht. Maßgebend war das Auffinden von Hinweisen auf bisher unbekannte Zusammenhänge und Ursachensuche für bereits hinreichend in der Literatur belegte Zusammenhänge. Die vorliegende Arbeit ist daher als explorative klinische Forschung zu werten. Die Diskussion beschränkt sich auf die für die Fragestellung der Arbeit relevanten Variablen und Zusammenhänge.
Die Studienpopulation setzte sich aus 24 Golden Retrievern, 23 Deutschen Schäferhunden, 17 Labrador Retrievern, 3 Rottweilern, 1 Airedale Terrier, 1 Chesapeake Bay Retriever und 1 Berner Sennenhund zusammen. Die Hunde waren zum Zeitpunkt der Untersuchung für die offizielle Zuchtbeurteilung mindestens 12 Monate alt, mit einem medianen Alter von 14,4 Monaten. Die Studie gibt damit insbesondere Auskunft über den Vergleich von Röntgen- und computertomographischen Befunden am Ellbogengelenk von jungen adulten Tieren. In der Studienpopulation waren 38 männliche und 32 weibliche Tiere vertreten.
Zum Zeitpunkt der Untersuchungen lag keine offizielle Richtlinie zur Bewertung von Ellbogengelenken nach dem IEWG Protokoll in der Computertomographie (CT) vor. Das Beurteilungsschema nach IEWG im Röntgen wurde für die vorliegende Studie zur Verwendung in computertomographischen Studien modifiziert.
In der radiologischen Beurteilung der Ellbogengelenke wurden 37,14%, im Vergleich zu 24,29% in der CT, als normal beurteilt (IEWG 0). 11,43% im Röntgen und 15% in der CT erhielten die Beurteilung „Grenzfall“ (IEWG 4). 5,71% im Röntgen und 17,14% in der CT wurden als leicht arthrotische Gelenke eingestuft (IEWG 1). Bei 41,43% der Ellbogen wurde im Röntgen der Verdacht auf eine Primärläsion gestellt (IEWG 2). Mit 16,43% fiel der Anteil bei dem lediglich der Verdacht auf eine Primärerkrankung, oder eine Fissurlinie bestand in der CT deutlich geringer aus. In nur 4,29% war für die Untersucher eine Koronoidpathologie im Röntgen eindeutig evident (IEWG 3). In der computertomographischen Beurteilung wurde dagegen in 27,14% ein fragmentierter PCM gefunden.
In der vorliegenden Studie konnte ein hoch signifikanter Zusammenhang (p = <0,0001) der Graduierung nach IEWG im Röntgen verglichen mit der CT festgestellt werden. Die Ergebnisse validieren somit die Verwendbarkeit des angepassten Auswertungschemas in der CT für zukünftige Untersuchungen.
Reduziert man die ordinale IEWG Graduierung in die Gruppen: „Kein Verdacht auf Primärerkrankung“ und „Verdacht auf Primärerkrankung“, liegt eine Übereinstimmung zwischen der Graduierung von 83,69% vor. 9,22% der Ellbogen wurden falsch positiv hinsichtlich des Verdachts auf eine Primärerkrankung im Röntgen beurteilt und 7,09% falsch negativ. Damit liegt in der vorliegenden Studie die Sensitivität zur Detektion einer medialen Koronoiderkrankung im Röntgen bei 83,60% bei einer Spezifität von 83,75% vor.
In den vorliegenden Untersuchungen wurde ein hoch signifikanter positiv korrelierter Zusammenhang (p = <0,0001) zwischen der Graduierung nach IEWG in der CT und der Regularität der Incisura radialis ulnae, sowie der Konformation des PCM festgestellt. Beide Variablen sind in der konventionellen Röntgentechnik nicht zu evaluieren. Nach diesen Erkenntnissen sollte die Regularität der Incisura radialis ulnae zukünftig in der computertomographischen Beurteilung des Ellbogengelenks inkludiert werden. Bezüglich der Konformation scheint eine unregelmäßige oder spitze Form des PCM häufig im Zusammenhang mit einer medialen Koronoidpathologie aufzutreten. Hierbei ist jedoch kritisch zu hinterfragen ob es sich bei einer unregelmäßigen oder spitzen Coronoidform um eine echte anatomische Normvariante des PCM handelt oder um eine sekundäre pathologische Veränderung der Morphologie aufgrund der medialen Koronoiderkrankung.
In der vorliegenden Studie konnte wir einen hoch signifikanten Zusammenhang (p = <0,0001) der mittleren anteiligen gemessenen Dichte des PCM in der CT mit der Graduierung nach IEWG im Röntgen und der CT aufgezeigt werden. Dabei nimmt die gemessene Dichte mit steigender Graduierung der Dysplasie tendenziell ab.
In den Untersuchungen ist im Verlauf der Dichtemessungen von leichter ED (IEWG Grad 1) ein geringer Anstieg der mittleren gemessenen Dichte hin zu Gelenken mit dem Vorliegen einer mittleren ED (IEWG Grad 2) zu erkennen. Gelenke bei denen eine schwere ED (IEWG Grad 3) diagnostiziert wurde, weisen wiederum einen deutlichen Abfall der mittleren gemessenen Dichte gegenüber den übrigen Gelenken auf. Ähnliche Tendenzen lassen sich auch für die Heterogenität der Knochenstruktur, gemessen an der Standardabweichung der mittleren Knochendichte nachweisen. Diese Ergebnisse bekräftigen die Hypothese, dass eine Überbelastung des PCM im Verlauf der Erkrankung zuerst zu einer erhöhten Knochendichte an der Spitze führt und nach Frakturierung zu einer verminderten Knochendichte. Nach den vorliegenden Ergebnissen lässt sich zusätzlich diskutieren, ob in Gelenken die als leicht dysplastisch eingestuft wurden bereits Mikroläsionen innerhalb des PCM vorlagen. Bei erkrankten Individuen ist offenbar die adaptive Regeneration des Knochens durch gezieltes Remodelling an der Spitze des PCM nicht ausreichend und es kommt im Verlauf zur Zerstörung des Osteozytensynzytiums. Nach Meinung der Autoren ist es daher wahrscheinlich, dass Fissuren innerhalb des PCM eine mögliche Vorstufe zur Fragmentierung darstellen.
Die mittlere anteilige gemessene Dichte des PCM in HE korreliert in der vorliegenden Studie hoch signifikant negativ sowohl mit der subjektiven Abgrenzbarkeit des PCM im Röntgen (p = 0,0001; rs =-0,3238), als auch mit der subjektiven Dichte im Röntgen (p = 0,0003; rs = -0,3047). Die Knochendichte hat somit einen wichtigen Einfluss auf die Abgrenzbarkeit und Dichtewahrnehmung des PCM im Röntgen. Die subjektive Dichtewahrnehmung und Abgrenzbarkeit des PCM ist im Röntgen zusätzlich hoch signifikant (p = <0,0001) mit dem gemessenen anteiligen Volumen des PCM korreliert. Ein erhöhtes Volumen des PCM bei gleicher Knochendichte führt zu einer vermehrten Schwächung des Nutzstrahlbündels und damit zu einer subjektiv erhöhten Dichtewahrnehmung und Abgrenzbarkeit beim Betrachten des Röntgenbildes. So könnte ein erhöhtes Volumen des PCM auch dazu führen, dass eine verminderte Knochendichte aufgrund einer medialen Koronoidpathologie im Röntgenbild nicht eindeutig ersichtlich ist.
Im stufenweisen logistischen Regressionsmodell konnte festgestellt werden, dass die subjektive Abgrenzbarkeit und subjektive Dichte im Röntgen den größten Einfluss der Röntgenvariablen auf eine falsch negative und falsch positive Beurteilung aufweisen.
Eine falsch negative Beurteilung im Röntgen stand in hoch signifikantem Zusammenhang (p= 0,0001) mit der Anwesenheit einer Fissur des PCM in der Computertomographie. In den computertomographischen Auswertungen wiesen 6 der 10 falsch negativ beurteilten Ellbogen (60,00%) eine Fissurlinie innerhalb des PCM auf. Dagegen wiesen von den übrigen 95 Gelenken nur 16 (16,84%) Ellbogen eine Fissur innerhalb des PCM auf.
Es ließ sich ein sehr signifikanter (p = 0,0045) Unterschied der anteiligen gemessenen Dichte des PCM zwischen Ellbogengelenken mit einer Fissurlinie innerhalb des PCM feststellen verglichen mit Gelenken in denen eine Fragmentierung vorlag. Gelenke mit einer Fragmentierung des PCM wiesen eine hoch signifikante (p = <0,0001) Dichteminderung, verglichen mit Gelenken ohne Primärläsion auf. Es lässt sich schlussfolgern, dass die hohe mittlere Knochendichte des PCM und damit die relativ hohe subjektive Abgrenzbarkeit und Dichtewahrnehmung bei Gelenken in denen eine Fissurlinie innerhalb des PCM vorliegt, in hohem Maße für eine falsch negative Beurteilung im Röntgen verantwortlich ist.
Gelenke die eine Fissur des PCM aufwiesen zeigten röntgenologisch in der vorliegenden Studie signifikant (p = 0,0319) häufiger eine subtrochleare Sklerose, verglichen mit Gelenken in denen keine Fissur vorlag. Die subtrochleare Sklerose kann somit einen Hinweis auf eine Fissur des PCM liefern, muss aber differenziert betrachtet werden.
Die Untersuchungen ergaben eine signifikante Korrelation einer falsch positiven Beurteilung im Röntgen mit der Abwesenheit einer Sklerose in der CT (p= 0,0188). In den computertomographischen Auswertungen wiesen 53,85% der Gelenke keine Sklerose an der Basis des PCM auf. Dagegen wiesen 77,95% der übrigen Ellbogen eine Sklerose an der Basis des PCM auf. In den röntgen Auswertungen zeigten 61,54% falsch positiv beurteilten Gelenken eine subtrochleare Sklerose der Ulna und nur 33,86% der weiteren Ellbogen. Obwohl sich im Röntgen keine eindeutige statistisch signifikante Korrelation (p = 0,0683) einer Sklerose an der Basis des PCM mit einer falsch positiven Beurteilung im Röntgen ergibt ist anzunehmen, dass es bei einer falsch positiven Beurteilung teilweise zu einer Überinterpretation der Knochendichte an der Basis des PCM kommt und damit fälschlicher Weise der Verdacht auf eine Primärerkrankung gestellt wird. Die subjektive Beurteilung der Sklerose an der Basis des PCM erscheint somit insgesamt wenig verlässlich. Sie sollte zukünftig durch objektivere Methoden ergänzt und nur im Zusammenhang mit anderen Veränderungen betrachtet werden.
Die Standardabweichung der mittleren anteiligen Dichte des PCM korreliert in der vorliegenden Studie ebenfalls sehr signifikant mit der subjektiven Abgrenzbarkeit im Röntgen (p = 0,0053). Damit hat eine erhöhte Heterogenität der Knochenstrukturen einen negativen Einfluss auf die subjektive Abgrenzbarkeit im Röntgen. Zusätzlich wies in die Gruppe der falsch positiv beurteilten Ellbogen eine weite Streuung und tendenziell niedrige Werte der mittleren anteiligen gemessenen Dichte in HE in der CT auf. Es ist anzunehmen, dass die hohe Heterogenität der Knochenstruktur, bei einer insgesamt erniedrigten mittleren gemessen Knochendichte des PCM im Vergleich zu den negativ beurteilten Gelenken, mit verantwortlich ist für eine vermehrt unscharfe Abgrenzbarkeit des PCM im Röntgen und damit eine falsch positive Beurteilung. Obwohl die subjektive Abgrenzbarkeit des PCM im Röntgen in der vorliegenden Studie hoch signifikant (p = <0,0001) negativ korreliert mit der Graduierung nach IEWG im Röntgen und der CT und eine verminderte Abgrenzbarkeit des PCM als primäres Anzeichen einer medialen Koronoiderkrankung beschrieben wurde, erscheint damit die Diagnosestellung einer medialen Koronoiderkrankung alleinig aufgrund einer verminderten subjektiven Abgrenzbarkeit des PCM unzureichend.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass computertomographisch evidente Fissuren des PCM häufig nicht zu deutlichen, radiologisch detektierbaren Gelenkveränderungen führen. Auf der anderen Seite ist eine geringgradige subjektive Unschärfe oder Dichteminderung des PCM im Röntgen nicht gleichbedeutend mit einer evidenten medialen Koronoidpathologie in der CT. Respektive kann die CT zukünftig bei der zuchthygienischen Beurteilung von Ellbogengelenken wertvolle zusätzliche Informationen liefern. Insbesondere dann, wenn eine minimale Unschärfe oder geringgradige Dichteminderung des PCM ohne deutliche sekundäre Gelenkveränderungen vorliegt.
Aktualisiert: 2019-08-14
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