1000 Tageszeichnungen von Klein,  Fridhelm

1000 Tageszeichnungen

Denkende Hand - Reflexionen zur Kreativität des Alltags

Fridhelm Klein: Diese Zeichnungen entstehen zu jeder Tages- und Nachtzeit an jedem Ort an dem ich mich aufhalte.
Sie sind als eine Art Pausezeichen, oder auch als Lückenbüßer mit Sammelleidenschaft gedacht. Sie entstehen während eines Vortrages, beim Zuhören von Musikereignissen, selbst vor dem Fernseher und am nächtlichen Radiobericht, auch beim Telefonieren. Man könnte sie in diesen Zusammenhängen als lineare Ergänzungen, als Mikorereignisse seismographischer Natur bezeichnen. Sie werden auf einfaches DIN A4 Schreibmaschinen- oder Kopierpapier gezeichnet.

Der gemeinsame Nenner bin ich als Zeichner in einer fast manischen Verfolgung meiner selbst gesetzten Linienzeit. Linienzeit deshalb, weil im zeichnerischen Prozess die Dauer an einem einmal begonnenen Motiv eine Rolle spielt. Beginn und Ende einer Zeichnung verlangen vom Zeichner eine Zeitstruktur einzuhalten. Es scheint nur manchmal ein zeichensportliches Vorgehen zu sein, in dem Konditionsstrukturen zu erkennen sind, wie Haltepunkte, gleitende Strecken in unterschiedlichen Längen, Auflösungen, Zusammenballungen, Streckungen, Schichtungen, Verdichtungen, Rissen und Kanten, Ecken und Rundungen…

Dieses: Zu jeder Zeit, an jedem Ort zeichnen ist einerseits sehr selbstbezüglich (innere Bilder) und andererseits nimmt es Signale der jeweiligen Umgebung und Seitenansätze (äußere Bilder) auf, die es im Formgebilde zu transformieren gilt.

Die Gebilde können abbildhaften Charakter tragen, aber auch nichts anderes sein als ihr konkretes Dasein als Formgebilde.
Diese Zeichnungen thematisieren sich selbst und wollen auch so betrachtet werden. Es sind für mich immer wieder überraschende Gebilde, die aus Wiederholungen, Verdoppelungen,
Gegenüberstellungen, Überschneidungen, Verdickungen und Kontraste etc. bestehen. In meditativen Elementen ausgeglichener Zeichensetzungen, wie regelmäßige Rasterungen,
Schraffierungen, Musterungen bis hin zu Ornamentierungen sind Störungen des Zeichenflusses gewünscht. Ja, das Stolpern im Schauen des Musterbeschauers erzeugt Spannungen und signalisiert: mach´s besser!

Was sind in diesem Zusammenhang handgreifliche Mitteilungen? Was machen die Hände? Sie deuten, zeigen, halten, werfen, fangen, greifen ins Leere oder Volle, ergreifen, verbinden, verwachsen und sichten. Handgreiflich sind sie im konkreten Sinn einer gezeichneten, gestaltenden Linie, nichts mehr.
Was heißt im Kontext von Zeichnungen vom Tage zeichnerische Unbestimmbarkeit? Diese Zeichnungen bekunden ein:
Hier bin ich, schau mir zu, ich bin da, ich erkunde, ich will aus der Hand, dem Körper, dem Kopf heraus und als Spur meiner selbst da sein.

Ich bin nicht unbestimmt, schau mich an, jeden Tag neu, ich spiele mit den Formen, die Du mir gibst, laß es bei diesem Spiel! Es sind Andeutungen aus Beobachtungen geboren. Beobachtungen aus ganz persönlichen Perspektiven über eine spezifische Situation, als Reaktion ohne Worte. Da spielen besonders Hörereignisse im Wind, Hagel, in der Sonne, im Wasser eine Rolle, oder
Gänge durch Architekturen, über Bodenformationen, an Zäunen entlang in Wolken hinein mit Spielentwürfen für Geisterbahnen auf Plätzen und über Abgründen. Eine große Rolle spielen die labyrinthischen Verwicklungen und das Staunen über Irrwege und die Suche nach Auswegen. Das Miteinander und Zueinander in technischen Konstruktionen und Architekturen können Aufforderungen zur Neubewertung von Gebrauchsanweisungen im Sinne „ich mach mir meine Gebrauchsanweisung selber“ sein.

Ja, Orientierungen kann diese chaotische Zusammenstellungen von Zeichenstationen insofern geben, als sie Hinweise auf die unendliche Vielfalt zeichnerischer Ausflüge in innere und äußere Landschaften geben. Jede einzelne zeichnerische Tagesäußerung beinhaltet immer bildnerische Depots aus denen der Betrachter sich bedienen kann.

Die mindmap erweist sich als eine topographische Felderschau, eine Musterkarte aus dem Zeichendepot eines Lebensjahres.
Jedes Feld birgt konkret nachvollziehbare graphische Setzungen zu Beobachtungen vom Tage, von der Nacht, von Tätigkeiten, Beziehungen und Traumgebilden, von Verkleidungen und ungewöhnlichen Zuordnungen, von Grenzziehungen und Vergitterungen.

Es ist die Aufgabe des Betrachters, sich in diesem Depot der Zeichnungen selbst zu orientieren und sich anregen zu lassen, selbst Mitspieler zeichnerischer Laufspuren zu werden. Die Texte, die meine Tageszeichnungen begleiten, sind Zitate (Heraklit u. a.), Beschreibungen und oft kontrapunktische Positionen zu Zeichnungen. Es sind Selbstgespräche und Betitelungen, kaum Text-“Illustrationen“ zu Zeichnungen.

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