Abschied vom „Leib-Seele-Problem“
Karl Ballmer, Martin Cuno, Peter Wyssling
„Wer sind wir, wir sogenannten Anthroposophen…? Ein nächstliegendes Mittel, um zu Vorstellungen über unser Wer zu kommen, bestünde darin, dass wir echtes Interesse aufbringen für denkerische Bestrebungen dieser Zeit, die ‚ebenfalls‘ den Menschen als ein Geistwesen reklamieren. Je sorgfältiger wir auf solche Ebenfalls-Bemühungen eingehen, desto sicherer werden wir uns des Abgrundes bewusst werden, der uns von mancherlei wohlmeinenden Aspirationen trennt. Damit hätten wir unser ‚Wer‘ zunächst in dem Bewusstsein dessen, was uns von Anderem unterscheidet. – Die Welt hat ein gewisses Recht, von den Anthroposophen zu erwarten, dass diese sichtbar werden lassen, wer sie sind. Wir sollten allmählich dazu kommen, uns und der Welt zu beweisen, dass wir überhaupt sind, nämlich dass wir fähig sind, in klaren Gedanken Stellungsbezüge zu vollziehen.“
Das „Andere“, das Ballmer in diesem Aufsatz aus dem Jahr 1956 wählt, ist die von Heidegger inspirierte Anthropologie, Psychosomatik und Daseinsanalyse. Die „liebende Teilnahme“, mit der er sich diesen „Bemühungen“ gegenüberstellt, enthebt ihn nicht der Notwendigkeit, den Mythos der Zusammengesetztheit des Menschen aus Leib und Seele einschließlich eines „Verhältnisses“ zwischen beiden für „grobe Torheit“ zu halten, mit der „der“Kirchenvater Aristoteles das Abendland gesegnet hat“.
„Wir befinden uns im Zeitalter der Naturwissenschaft. Diese Naturwissenschaft, wenn sie redlich und konsequent ist, kann unmöglich das Andenken an ihren Stifter, an Galilei, kränken wollen, indem sie gedankenlos die ‚Leib-Seele‘-Mythologie konserviert. Die Korrektur, die Galilei an der Ansicht des Aristoteles über die Bewegungen der Körperdinge vornahm, muss sich in unserer Korrektur der Ansicht des Aristoteles über die ‚Leib-Seele‘-Komposition der Menschenleute wiederholen. Aristoteles hatte geglaubt, die Dinge bewegten sich nach dem Gesetze des ihnen einwohnenden eigenen Wesens, die leichten strebten ihrem Wesen gemäß nach oben, die schweren wesensgemäß nach unten. Galilei bewies, dass das Reden des Aristoteles vom ‚Wesen‘ der Dinge pure Flunkerei war. Die Dinge bewegen sich nach Welt-Gesetzen, und nicht nach eingeborenen eigenen angeblichen ‚Wesens‘-Gesetzen. Ebenso kann es die Seele von Meier und Huber nur als Welt-Gesetz geben…“
Die zweite Auflage (1997) ist durch thematisch dazugehörige Texte aus dem Nachlass ergänzt.