Das Reich im Kreuzfeuer der Weltmächte
Stationen der Einkreisung Deutschlands
Andreas Naumann
Die Attitüde der Selbstbezichtigung hat die Deutschen dafür blind gemacht, daß nicht Berlin die wirkliche Schaltzentrale der Macht gewesen ist. Die ausschlaggebenden Staatsmänner saßen nicht in Berlin, sondern in London, Paris und Washington, Seemächten also, die vier Fünftel der Welt und ihrer Güter beherrschten und unter sich aufteilten. Dort spielte sich ab, wovon Berlin nur zu träumen vermochte: Weltpolitik. Unter den Linden, dem vermeintlichen Mittelpunkt Europas, kreuzten sich ihre Fäden bloß. Und zwar im Hinblick auf Moskau und seine Doppelrolle als Land- und Seemacht und Anlieger zweier Ozeane. Wiederholt verbanden sie sich im 20. Jahrhunderts zu einem Netzwerk des Unheils, dem das Reich trotz aller Anfangserfolge unterliegen mußte. Denn Landmächte bleiben nach dem Gesetz des Krieges ihren seemächtigen Gegnern, deren Blockaden und Invasionen, hilflos ausgesetzt. Ebenso spannend wie überzeugend vermag Naumann darzustellen, wie eine jüngere Historikergeneration allmählich zu begreifen beginnt, wo die Wurzeln beider Katastrophen liegen, in die unser Europa hineingeraten ist, wie die Rollen verteilt waren und daß Schuld und Verantwortung dafür keineswegs nur einer Seite anzulasten sind.