Denkzeichen Kohlenhandlung Julius und Annedore Leber

Denkzeichen Kohlenhandlung Julius und Annedore Leber

Dokumentation des preisgekrönten Entwurfs 'Windfang' von Katharina Karrenberg

Diese Publikation dokumentiert nicht alleine den Siegerentwurf Katharina Karrenbergs im Kunstwettbewerb ‚Denkzeichen Kohlenhandlung Julius und Annedore Leber‘, sondern zugleich das Scheitern seiner Realisierung.
Nachdem Julius Leber, Reichstagsabgeordneter der SPD, 1937 aus mehrjähriger KZ-Haft entlassen worden war, stieg er bei der Kohlenhandlung ‚Bruno Meyer Nachf.‘ auf der Schöneberger ‚Roten Insel‘ ein, um seine Familie zu ernähren. Trotz des Verbots jeder politischen Betätigung entwickelte Leber die Bürobaracke auf dem Grundstück der Torgauer Straße mit einem Hinterzimmer und separatem Eingang zum Treffpunkt von Widerständlern um den späteren 20. Juli 1944. Nach einer Denunziation und dem Schauprozess vor dem Volksgerichtshof wurde er am 5. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet.
Annedore Leber baute das gegen Ende des Kriegs zerstörte Häuschen wieder auf und führte darin bis 1968 die Kohlenhandlung sowie den von ihr gegründeten Mosaik Verlag. Danach erfuhr das Gebäude mehrere Umnutzungen und damit auch Um- und Anbauten und drohte in einen schäbigen Dämmerschlaf zu sinken. Erst im Zuge des stadtplanerischen Projekts ‚Stadtumbau West‘, das u.a. entlang der Torgauer Straße statt der Kleingewerbe einen Grünzug vorsieht, geriet das Häuschen wieder in den Fokus und veranlasste den Bezirk zur Auslobung eines künstlerischen Wettbewerbs für ein ‚Denkzeichen‘ am historischen Ort.
Ein zentrales Anliegen von Karrenbergs preisgekröntem Entwurf ‚Windfang‘ war, keine falsche historische Authentizität vorzuspiegeln, und sah deswegen das Abtragen des Gebäudes bis auf die Grundmauern vor. Nach Bekanntgabe der Jury-Entscheidung entbrannte eine heftige öffentliche, z.T. polemisch geführte Debatte, begleitet von einem parteipolitischen Streit, der auch überregionale Reaktionen hervorgerufen hat. Im Kern geht es um die Frage, ob Kunst und Gedenken überhaupt miteinander zu vereinbaren seien, sowie um die Forderung, Kunst im öffentlichen Raum bzw. Gedenkorte basisdemokratisch zu gestalten. Unter diese Räder geriet Karrenbergs Entwurf. Auch ein Runder Tisch mit Fachleuten und Vertretern aus Bürgerinitiativen und Politik brachte keine
Annäherung, und insofern kann das Scheitern der Realisierung durchaus als symptomatisch für den aktuellen Diskurs in der Gestaltung der Erinnerungskultur im Stadtraum angesehen werden.
Muss ein Kunstwerk auf Konsens und Harmonie ausgelegt sein? Welchen besonderen Herausforderungen muss sich ‚Gedenk-Kunst‘ im öffentlichen Raum stellen, und wie können Kunstwerke geplant, gewürdigt und kritisiert werden – ohne didaktische Auflagen Dritter, die nur eigene parziale erinnerungspolitische Ansprüche verfolgen?
Die vorliegende Dokumentation versteht sich als versachlichender Beitrag zu einer Diskussion, die weiter in vollem Gange ist. Karrenbergs Entwurf wird erhellend ins Verhältnis gesetzt zu zwei benachbarten, bereits realisierten und typologisch ganz anderen Formen des Gedenkens, deren schlüssige Konzepte sich just aus den höchst unterschiedlichen ›Befindlichkeiten‹ ihrer jeweiligen ›historischen‹ Örtlichkeiten abgeleitet haben: das dezentrale Denkmal im Bayerischen Viertel und der Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße.

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