„Der Farbfilm marschiert!“
Frühe Farbfilmverfahren und NS-Propaganda 1933-1945
Dirk Alt
Vor annähernd 70 Jahren, im Oktober 1942, fand in Dresden unter der Schirmherrschaft des Reichspropagandaministeriums eine vielbeachtete kinotechnische Fachtagung statt, die den Namen „Film und Farbe“ trug. Vorträge und Filmvorführungen sollten der Öffentlichkeit im In- und Ausland signalisieren, dass die deutsche Filmindustrie nun – nach einer Dekade fruchtloser Experimente und unbefriedigender Zwischenlösungen – endlich das Problem des Farbfilms gemeistert hatte und im Begriff stand, eine Spielfilmproduktion nach dem Agfacolor-Verfahren realisieren zu können. Von den Produkten ihres bis Kriegsende ausgebauten Farbfilm-Apparates haben sich vor allem Melodramen und Kostümfilme wie „Große Freiheit Nr. 7“ oder „Münchhausen“ ins kollektive Gedächtnis eingeprägt: Bis heute haben sich Historiker und Filmwissenschaftler, wenn sie sich dem frühen Farbfilm zuwandten, fast ausschließlich mit den wenigen bis 1945 hergestellten Agfacolor-Spielfilmen beschäftigt.
Die politisch-propagandistische Dimension des Farbfilms der NS-Zeit reicht jedoch weit darüber hinaus. Für die durch Propagandaministerium und Reichsfilmkammer gesteuerte Filmindustrie war der Farbfilm zunächst technisches, dann ideologisches Kampfgebiet. Experimentelle Verfahren wurden bereits unmittelbar nach der national sozialistischen Machtübernahme für Propagandazwecke erprobt: Die Opulenz der NS-Herrschaftsrepräsentation verlangte auch im Film nach farbiger Abbildung. Im Kampf um den Weltmarkt sollten deutsche Farbfilmverfahren denen der Briten und Amerikaner den Rang streitig machen – die Farbe wurde zur Prestigefrage der deutschen Filmindustrie, wenn sie sich gegen Hollywood behaupten wollte. Daneben bedienten sich die Staatsführung und die Wehrmacht des Farbfilms, um ihr Wirken für die Nachwelt zu dokumentieren: in Form eines geheimen Archivs, das 1945 bis auf wenige Splitter vernichtet wurde bzw. als Kriegsbeute verschwand.
Mit dieser Studie wird die erste Gesamtdarstellung zum Farbfilm im Nationalsozialismus vorgelegt, die zudem durch eine Einbettung in den internationalen Kontext Vergleiche mit den konkurrierenden Filmindustrien Europas und der USA ermöglicht. Im Verlauf der Recherchen konnten zahlreiche kaum bekannte oder verschollen geglaubte Filme aufgespürt werden, deren Einbeziehung erstmals eine nahezu vollständige Dokumentation der deutschen Farbfilmproduktion ermöglicht.
Berücksichtigt werden sämtliche Genres:
– staatspolitische Repräsentationsfilme aller Art,
– Spiel- und Unterhaltungsfilme,
– Kultur-, Natur- und Landschaftsfilme,
– Werbe- und Zeichentrickfilme,
– Aktualitätenfilme und Wochenschauen,
– militärische und sonstige Geheimfilme,
– Amateur- und Schmalfilme.
Im Vordergrund der Untersuchung steht die Frage nach der Bedeutung, die dem Farbfilm als neuem und revolutionärem Medium innerhalb des NS-Propaganda-Apparates zukam. Welche Akteure arbeiteten mit Farbfilm, und inwieweit waren ihre Arbeiten an den politischen und militärischen Zielen des NS-Staates ausgerichtet? Welche Propagandastrategien wurden im In-, welche im Ausland verfolgt? Welche Gegensätze bestanden angesichts knapper Farbfilmressourcen zwischen den Wünschen von Staats- und Wehrmachtführung einerseits und den ökonomischen Interessen der Filmwirtschaft andererseits? Abgerundet wird der Band durch eine 750 Titel umfassende Filmographie aller für die Aufführung in Deutschland zugelassenen Farbfilme von 1933 bis 1945.