Der geheime Schamanismus der Qing-Kaiser
und der Schamanentempel Tangzi in Beijing
Martin Gimm
Die großen Kaiser der letzten fremden Dynastie Chinas waren bestrebt, ihre Herrschaft auf der Jahrtausende lang bewährten chinesischen Tradition aufzubauen und dieses kostbare Erbe verantwortungsvoll zu verwalten. So verdanken wir viele der bis heute erhaltenen kulturellen und literarischen Traditionen dem Bemühen der Fremden, das Vorhandene zu sammeln und zu komplettieren. Gleichzeitig fühlten sich die -Kaiser, die ursprünglich Nachfahren kriegerischer, als halbwild angesehener Nomaden und Jäger waren, trotz durchgreifender Sinisierung aber auch einer weiteren Tradition verpflichtet, nämlich dem autochthonen nordasiatischen Stammeserbe, wozu auch die quasi-religiöse Lehre des seit ältester Zeit nachweisbaren Schamanismus nordasiatischer Prägung gehörte.
Martin Gimm beschreibt in seiner Studie die verschiedenen Aspekte der Praxis des kaiserlichen Schamanismus anhand der heute noch erreichbaren Quellen. Ausgehend von den historischen Fundamenten und dem volksnahen, primären Geisterglauben in den Grenzregionen und in Chinas Zentralgebiet behandelt der Hauptteil der Arbeit die kaiserliche Lehre in ihrer besonderen, an die chinesische Umwelt angepassten, ‚gehobenen‘ Ausprägung. Hierbei werden sowohl die Vorstellungswelt, wie Kosmologie und Himmelsverehrung, als auch Praxis, Typologie und Ausbildung des Schamanen, die Symbolik seiner Ausstattung, sowie die Interna der rituellen Ekstase vorgestellt. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den über Jahrhunderte hindurch in mehreren Hauptstädten nachweisbaren Institutionen der Schamanentempel, die man – wohl in verhüllender Absicht – , „kleine Halle“, nannte.