Der Toteneimer
Paul Henricks
Als sie den Steuermann Lipka fanden, sah er nicht mehr sehr hübsch aus. Alle Beteiligten waren ehrlich davon überzeugt gewesen, daß er damals vor zwei Jahren in jener stürmischen Nacht über Bord gegangen war – bis auf den Mörder natürlich. Und seinen Komplicen. Hätte MS ‹Heinrich Warnhusen› nicht wegen einer Reparatur in die Werft gemußt, wäre die Leiche vielleicht noch lange unentdeckt geblieben. Wer schaut auf einem Küstenmotorschiff schon in die Ballasttanks? Natürlich hatte es eine Untersuchung gegeben, und Staatsanwalt Ziemeck hatte sich die Sache sauer werden lassen. Das geht einwandfrei aus den Akten hervor: Da sind Vernehmungsprotokolle, Sachverständigengutachten, Auszüge aus dem Schiffstagebuch … Da fehlt nichts – bis auf den Täter. Und so wird der Fall ad acta gelegt. Dem Referendar Raue paßt das nicht. Genaugenommen, Felix Raue paßt sehr vieles nicht, was seinen Vorgesetzten betrifft. Aber was kann ein kleiner Referendar, wie selbstbewußt er auch sein mag, gegen einen Staatsanwalt ausrichten? Doch da kommt Felix der Zufall zu Hilfe in Gestalt der Frau des Kapitäns von MS ‹Heinrich Warnhusen›, in Schiffahrtskreisen unterdessen ‹Der Toteneimer› genannt: Hilde Ramien fängt nichtsahnend einen Flirt mit Felix an, der zu einer Einladung führt. Felix Raue soll auf dem Toteneimer eine Reise nach Schweden und Finnland mitmachen. Die Vorstellungen von dem, was er sonst noch soll, weichen allerdings bei ihm und der lebenslustigen Kapitänsgattin erheblich voneinander ab – Ehebruch ist nicht die richtige Methode bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Aber die Karriere des zukünftigen Staatsanwalts Raue droht dann nicht am Ehebruch zu scheitern, sondern am vorzeitigen Ableben des Referendars.