Der wiedergewonnene Text
Ästhetische Konzepte des Librettos im italienischen Musiktheater nach 1960
Caroline Lüderssen
Schwerpunkt dieser Untersuchung ist die exemplarische Analyse von vier Librettotexten, die zwischen 1963 und 1984 entstanden sind: Ulisse (Luigi Dallapiccola, 1968), Passaggio (Edoardo Sanguineti, 1963), Un re in ascolto (Luciano Berio/Italo Calvino, 1984), Prometeo (Massimo Cacciari, 1984). Die Texte gehören zu einem neuen Typ von hoch komplexen, intertextuell geprägten Libretti, der sich in der Oper seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Anstelle einer traditionellen Opernhandlung führen die neuen Texte ideengeschichtliche Motive in offenen Werkformen zusammen, deren ästhetisches Potential mit dem Begriff der „Kalkulierten Uneindeutigkeit“ bestimmt wird.Die Polyvalenz der Texte der ausgewählten Opern von Luigi Dallapiccola, Luciano Berio und Luigi Nono erfordert – auch gemäß der neuen musikalischen Ästhetik – einen in der Rezeption aktiven und informierten Zuschauer. Ein Teil der Untersuchung konzentriert sich deshalb auf die Wirkungsästhetik. Erstmals werden in diesem Buch verschiedene Ansätze zu einem modernen Librettobegriff zusammengeführt und in Einzelanalysen vertieft. Weil die Untersuchung weniger an der Genese als am abgeschlossenen Artefakt und dessen Rezeption orientiert ist, wird sie sowohl für Philologen und Musikwissenschaftler als auch für in der Dramaturgie und der Opernregie Tätige von Interesse sein.