Die Heeresreform der Oranier
Das Kriegsbuch des Grafen Johann von Nassau-Siegen 1561 bis 1623
Werner Hahlweg
Mit dem Begriff der Renaissance verbindet sich auch in den politischen und militärischen Bereichen die Rezeption des antiken Erbes, besonders der antiken Kriegskunst, auf dem Boden Europas im Zeitalter der Religionskriege. In diesem Prozess der Aneignung der von den Humanisten vermittelten Militärwissenschaft der Antike und ihrer Anwendung auf das europäische Heerwesen der Neuzeit war es der Freiheitskampf der Niederlande gegen die spanische Herrschaft (1568–1648), der durch die Wirksamkeit der Grafen von Nassau in den Niederlanden die neuen militärischen Formen am deutlichsten erkennen lässt.
Die oranische Militärwissenschaft und Militärreform, wie sie in der Nachfolge Wilhelms des Schweigers von seinen Brüdern und seinen Neffen studiert und angewandt wurde, fand eine umfassende Darstellung in dem Kriegsbuch des Grafen Johann VII. von Nassau-Siegen (1561–1623). Unter diesem Namen hat man von jeher die Papiere und Schriften zusammengefasst, die teils von Johann selbst, teils von seinen Mitarbeitern stammen und die politisch-militärische Konzeption der Oranier überliefern. Sie hatte zunächst ihre Bedeutung im Auf-stand der Niederländer, die endlich die spanische Herrschaft besiegen konnten; sie bot dar-über hinaus für die nassauische Heimat der Grafen neue militärische Möglichkeiten im soge-nannten „Defensionswerk“, und schließlich ging von ihr eine Epoche des europäischen Mili-tärwesens aus, die sich in politischer Denkweise und militärischer Überzeugung, in Truppen-ausbildung und Truppenführung, in Garnison- und Kriegswesen, in Bewaffnung und Kriegs-technik – also im gesamten militärischen Bereich – offenbarte und bis in unsere Tage fort-wirkte.
Graf Johann war um das Jahr 1600 der „Träger der militärischen Reformbewegung in Deutschland“ und zugleich mit seinem Kriegsbuch der Vermittler der neuen Kriegskunst in Europa. Erstmals werden hiermit zuverlässige und vollständige Texte, Untersuchungen über ihre Entstehung und eingehende Kommentare geboten. Beachtet und benutzt von Kennern waren diese Manuskripte im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden seit längerem; sie werden hiermit einem größeren Interessentenkreis von einem hervorragenden Fachmann zugänglich gemacht.