Die Liquidatorinnen
Thomas Herget
Das Land steht unter Strom. Aber es ist sich nicht einig, in welche Richtung die Weichen gegen Treibhausgase und die drohende Klimaerwärmung gestellt werden sollen. Noch gehen Franzi, Hedy und Irma dem Kraftwerkstorso beim Rückbau beherzt an die Armierung, ansonsten aber verengt sich der Ausblick auf die Energiewende zu einer ideologischen Schießscharte. Unter der Kuppel eines Kernreaktors begreift sich das Matriarchat als neue Avantgarde einer Arbeitsbrigade, die der Nation den Weg in eine grüne Zukunft weisen soll. Doch draußen lodern bereits die Feuer des Aufruhrs in den Torfmooren, sägen Partisanen an den neuen Stromtrassen, mit denen die Energiebarone von gestern den Reibach von morgen machen.
Die scheinbar krisensicheren Jobs entpuppen sich in diesem nur leicht dystopischen Frauendrama als Elendsplackerei für den autoritären Landeshauptmann Pangraz, in den sich Irma unsterblich verknallt hat, für den sie aber nur neuen aus alten Schrott gewinnt, schwach radioaktive Liebesbezeugungen, die bis zum Schluss unerwidert bleiben. Als Franzis Geliebter Ambros, der als revolutionsfester Stenz dem Klassenkampf wie ein Peer-Gynt-Widergänger hinterherhechelt, durch Pangrazs Kugel stirbt, ist die Lunte gelegt für den blutigen Schlussakkord im Stil einer griechischen Tragödie.
Zerschossene Hoffnungen und bigotte Unterwürfigkeiten haben die fleißigen Lieschen geschliffen und schicksalshaft ins Rattenloch der Big-Data-Ära gespült. In der kafkaesken Verbannung sind sie frei von jedweder Schuld, die Verrohung der Welt vollzieht sich außerhalb ihres Anschauungs- und Erfahrungshorizontes. Dieses Theater generiert surreale Momente um tragikomische Existenzen, Alltagsbeschreibungen monströser Arbeitsleben. Wie in seinen vorherigen Stücken entwirft der Autor in „Die Liquidatorinnen“ beklemmende Bilder des Ausgeliefertseins, der Vergeblichkeit von Sprache und Bewegung, die über das Schicksal seiner Figuren hinausweisen. Sie zeigen in eine Welt, in der die Existenz des Einzelnen nichts zählt, seine mögliche Funktionsfähigkeit für die Gemeinschaft aber am Ende seiner Tage erneut geprüft wird.