Eine Minute Schweigen am Rande der Welt von Pschera,  Mario, Süleymenov,  Oljas, Weiser,  Walerija

Eine Minute Schweigen am Rande der Welt

1936 in Alma-Ata geboren, veröffentlicht der studierte Linguist Süleymenov seit 1958 Gedichte, Essays und Aufsätze. Seinen künstlerischen Durchbruch erlangte er in der “Tauwetterperiode” mit der Feier des menschlichen Fortschritts — es war die Zeit des Gagarinfluges und der Technikbegeisterung — und öffentlichen Lesungen in Moskau, Paris und New York, die eher Popkonzerten glichen. Süleymenov war gemeinsam mit seinen Freunden Andrej Wosnessenskij, Jewgeni Jewtuschenko und Alan Ginsburg Teil jener legendären Beatnik-Generation, die die Schranken der bürgerlichen Gesellschaft in Ost und West durchbrach und sich wenig um die Feindbilder des Kalten Krieges scherte. Diese bereitete popkulturellen Phänomene wie die Hippiekultur vor, die Militarismus und Staatshörigkeit strikt ablehnte. Weniger bekannt ist, daß diese Jugendbewegung auch in der Sowjetunion Fuß faßte, wenn auch von der Staatsmacht argwöhnisch beäugt. Texte der genannten Poeten wurden vertont und bildeten den Grundstoff für das Schaffen von Legionen von Liedermachern wie Wladimir Wyssotzkij und Rockbands wie Nautilus Pompilius. Noch heute werden die Gedichte Süleymenovs in unzähligen Internetforen zitiert und kommentiert.
1975 verursachte Oljas Süleymenov mit seinem Essay “AzIJa” (Asien/Ich und Ich) einen Skandal, in dem er die rassistischen und kolonialistischen Konnotationen des großrussischen “Igorliedes” linguistisch und literaturhistorisch bloßlegte. Nur seine internationale Popularität und die Fürsprache einiger weniger einflussreicher Förderer bewahrte ihn vor ernsteren Konsequenzen. In den 1980er Jahren engagierte sich Süleymenov für die Bürgerrechte und in der Anti-Atom-Bewegung “Nevada – Semipalatinsk”. Heute arbeitet er als UNESCO-Botschafter in Paris.
Die Gedichte Süleymenovs sind von vertrackten Vielschichtigkeit. Auf Russisch geschrieben, nehmen sie Worte und Bedeutungen aus den neueren und alten Türksprachen, dem Arabischen und Hebräischen auf, adaptieren und verformen sie zu einer Weltsprache, die dem Kosmopolitismus Süleymenovs eignet. Wenn Scholem Alejchem zum Salam Alejkum wird – tatsächlich sind die Worte gleichbedeutend – offenbart sich im Gedicht die Absurdität des israelisch-palästinensischen Konfliktes. Das Denkmal für Kolumbus provoziert die Frage nach Blumen für Hitler. Die Helden des kasachischen Epos rettet nur das Wort, das “agit”, die Totenklage schenkt Leben. Die “asiatische Lethargie” wird mit dem Utilitarismus der Kolonisatoren konfrontiert. In knapper, oft freirythmischer Form verkörpern die Verse Süleymenovs eine Synthesis der Weltkulturen, das Gegenwärtige im Geschichtlichen. Gnadenlos zerlegt er die süßliche Romantik der stilisierten Boheme. “Ein Pony ist ein mißverstandenes Pferd.” Selbst scheinbar idyllische Naturbilder wenden sich in eine Abrechnung mit menschlichen Grausamkeiten und Überhebungen. Ironie und Tragik sind stets im Wechselspiel begriffen.

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