Entfremdung – Identität – Utopie von Chlada,  Marvin, Höhmann,  Peter, Kastrup,  Wolfgang, Kellershohn,  Helmut

Entfremdung – Identität – Utopie

Der Entfremdungsbegriff (bzw. ein verwandter Begriff wie Verdinglichung) hat Konjunktur. Die Debatte reflektiert zum einen das neue Interesse an der Marx-Lektüre, das seit der Jahrtausendwende Ausdruck der Krisenprozesse ist, die die kapitalistische ›Welt‹ durchziehen und nach Erklärungsmustern suchen lassen. In diesem Zusammenhang wird auch das Verhältnis zwischen dem ›frühen‹ Marx und dem Marx der »Kritik der Politischen Ökonomie«, zwischen Entfremdungskritik und der Kritik des Warenfetischismus erneut thematisiert. Zum anderen verweist der Entfremdungsdiskurs auf die individuellen Leidenserfahrungen, die den Alltag der Menschen bestimmen.

Korrespondierend zum Entfremdungsbegriff nimmt der Identitätsbegriff einen immer breiteren Raum ein in der Debatte um die Gestaltung von nichtentfremdeten Lebensverhältnissen. ›Identität‹ (bzw. ›kollektive Identität‹) ist zur Chiffre geworden, unter der sich unterschiedliche Gruppen formen, denen es um eine Änderung vorherrschender Lebens- und Denkweisen geht, die sich unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen herausgebildet haben. Die jeweiligen Gemeinschaftsvorstellungen, ihre Begründungen und Handlungsstrategien werden seit einigen Jahren breit und kontrovers erörtert, dies gerade auch in den Gesellschaftsbildern rechter und linker Identitätspolitik. Bezüglich der letzteren stellt sich die Frage, wie Identitäts- und Klassenpolitik zueinander stehen.

Besondere Beachtung verdienen rechtspopulistische und extrem rechte Bewegungen. Auch sie operieren identitätspolitisch, indem sie das ›Deutsch-Sein‹ (im völkischen Sinne) und das volksgemeinschaftliche Wir zum allein bestimmenden Identitätsmerkmal erheben. Identität ist aus dieser Sicht immer national- und volksbezogen. Entfremdung dagegen bedeutet stets Verlust des Nationalen und des ›Volkshaften‹. Auch die Vorstellungen von einer anderen, besseren Welt haben Konjunktur. Seit Karl Mannheim und Ernst Bloch wird Utopie nicht mehr primär als ein literarisches Genre, sondern als eine Denkform, als ›utopisches Bewusstsein‹ betrachtet, die es für kultur- und sozialwissenschaftliche Analysen fruchtbar zu machen gilt.

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