Gedanken zur reinen Gottesliebe
François Fénelon, Jean-Claude Wolf
Die vorliegende Auswahl und Übersetzung des Dichters Matthias Claudius vermittelt seinem Publikum um und nach 1800 die Texte eines intimen Kenners der Abgründe und Verirrungen der menschlichen Seele. Die Textauswahl repräsentiert eine überkonfessionelle Frömmigkeitskultur, die sich auf die erste Theologie der Bibel und der frühen Kirchenväter stützt.
Fénelon (1651–1715) hat in seinen religiösen Schriften und Briefen versucht, die neuen Wege der Mystik mit dem kirchlichen Auftrag zur vollständigen Bekehrung des Herzens zu verbinden. Es geht ihm darum, das mystische Gebet als Übergang von der Meditation zur Kontemplation, d.h. als stufenweisen Aufstieg von der interessierten zur desinteressierten Liebe, mit den Regeln der Moral und den Dogmen der Kirche vereinbar zu machen. In seinem Werk durchdringen sich platonische und quietistische Strömungen mit Elementen der christlichen Gnosis und des Cartesianismus. In den spirituellen Briefen erreicht Fénelon eine Unmittelbarkeit der Mitteilung und eine stilistische Meisterschaft, die auf das Zeitalter Rousseaus und auf die religiösen Erweckungsbewegungen der folgenden Jahrhunderte nachwirken. Fénelon wird neben Jakob Böhme zu einer wichtigen Referenz der neuen religiösen Vibrationen nach dem Pantheismus- und Atheismusstreit. Herder, Jacobi und Clemens von Brentano haben in höchsten Tönen von Fénelon gesprochen.
Die reine Liebe ist das Echo des Menschen auf die unendliche Liebe Gottes, eine permanente Einübung, eine desinteressierte Zuwendung zu Gott, eine stufenweise Reinigung von der Befangenheit in Eigeninteressen. Im Zentrum stehen nicht das Glück, nicht einmal das Heil des Individuums, sondern die Handlungen aus Liebe, zum Ruhm und zur Ehre Gottes. Gott ist souverän und kann mit uns machen, was er will – wir haben keine Rechte gegenüber Gott. Im Eifer der Verteidigung der Liebe der Heiligen geht Fénelon an die Grenzen der Häresie. Bei aller Radikalität der Askese und der spontanen Gottesliebe schaltet er den kritischen Geist nicht aus, der jene tadelt, die glauben, schon heilig zu sein, nur weil sie sich von der Welt zurückgezogen haben. ‚Man will wohl die Welt vergessen, aber nicht von ihr vergessen sein.‘