Gerald Brettschuh – Leib und Seele
Bilder 1974–2019
Gerald Brettschuh, Walter Titz
I „Beide meine Hände sind alles, was ich bin“
„Der Gebrauch der Körper“ ist Titel des ersten Teils der von Michael Pilz erstellten 751-minütigem (!) Filmdokumentation über das Gesamtkunstwerk Gerald Brettschuh. Der Cineast Harry Tomicek nennt seinen Essay über dieses monumentale Werk „Der Gebrauch des Körpers F-i-l-m“. Darin denkt der Autor über das Wesen der Kinematografie nach, deren Fähigkeit, Bewegung festzuhalten, genauer gesagt: die Bewegung „der sichtbaren und sinnfällig werdenden Körper und an Körper gebundenen Dinge“.
In besagtem Film ist es vor allem der Körper des Malers Brettschuh, dessen Bewegungen akribisch dokumentiert werden. Die an seinen Körper (im übertragenen Wortsinn) gebundenen Dinge sind in erster Linie jene Utensilien, die für die Herstellung von Bildern benötigt werden. Bilder, die aber auch Körper und Dinge als Motive brauchen, um Bilder zu werden. Oder, könnte man sagen, sie, die Bilder, brauchen Gegenstände. Denn Gerald Brettschuhs Kunst wird gemeinhin in der Rubrik „gegenständlich“ geführt. (…)
Auch Brettschuh hält Bewegungen fest, manchmal als im Kopf fixierte Momentaufnahmen wie in den „Box-Bildern“ (davon später mehr). Dann wiederum werden aus Bewegungen heraus entstandene Posen festgehalten, speziell in unzähligen Aktbildern, die den (weiblichen) Körper pur ins Bild setzen, stellen, legen. Menschen in unterschiedlichsten Haltungen bevölkern aber auch jene Bilder, die in dieser Ausstellung die Abteilung „Figuren“ bilden.
Jedenfalls geht es um den Gebrauch der Körper. Bekleideter und nackter Körper. Die gebraucht werden für Bilder, die mittels dieser Körper Unterschiedliches erzählen, höchst Unterschiedliches. Gebraucht im Sinn von benötigt. Für Bild-Geschichten, deren Motive dem Alltag ebenso entnommen sind wie der Phantasie, mit immer wieder sich auflösenden Grenzen zwischen der Außen- und der Innenwelt, den diversen Erfahrungssphären des Künstlers. Es sind Szenen, in welchen Menschen wie Du und Ich auf solche treffen, die ganz anders scheinen, aber – möglicherweise – auch sind wie Du und Ich. Wer kennt sich schon wirklich?
Gerald Brettschuh ist der Erfinder und Choreograf dieser vom Gebrauch der Körper handelnden Szenen. Er ist der Schöpfer, aber in vielen Fällen auch das zentrale Geschöpf. Als Brettschuh-Körper in mehr oder weniger verkleidenden Verkleidungen. Entkleidungen. Porträt und Selbstporträt präsentieren sich als symbiotische Verschmelzungen.
Brettschuhs Verhältnis zum Körper, zum eigenen und jenen der anderen, ist ein intensives. Im dritten „Triptychon“-Teil „Das Fest“ liest Brettschuh ein eigenes Gedicht vor, das nicht zuletzt dieses innige Verhältnis zum eigenen Körper, zur eigenen Person zum Ausdruck bringt. „Ich feiere mich selbst und singe mich selbst, / Und was ich mir anmaße, sollst du dir anmaßen, / Denn jedes Atom, das mir gehört, gehört auch dir.“ Nein, das ist nicht Brettschuh, das ist Walt Whitman. Der Beginn seines „Gesangs von mir selbst“. In Brettschuhs Worten hört sich das so an: „Ich in meiner Schönheit als Mensch / liebe alles an mir. Alles. / Am meisten aber meine Hand, / meine Hand, die eine wie die andere. / Beide meine Hände sind alles, was ich bin. / Brettschuh-Hände. / Hände hat jeder, keine Hand gleicht der anderen. / Was jeder mit seinen Händen machte bis heute, wer weiß. / Mit meinen Händen habe ich alles gemacht / selber mich, mich selber. / Meine Hände werden, / wenn alles Fleisch verloren, alle Haut, alles Fett, die Sehnen / noch nachleuchten. / Sie werden sagen zu den Unterirdischen: Seht hier – meine Hände.“ Keine Frage: Hände sind eine Art Markenzeichen in Brettschuhs Bildern. Hände, deren – manchmal zwischen den Welten, Diesseits und Jenseits, Oben und Unten angesiedelte – Markanz hervorsticht.
Whitman besang „den elektrischen Leib“ – „the body electric“ –, Brettschuh bringt in seinen Bildern körperliche Energien von Whitman‘scher Qualität zum Ausdruck. „Oh mein Leib! Ich wage dein Ebenbild in meinen Mitmenschen, Mann und Weib“ – der amerikanische Dichter (den Brettschuh selbstredend nur im Original liest) geht das Wagnis mit seiner Literatur ein, der österreichische Maler mit seinen Bildern. Beide scheuen vor Pathos nicht zurück, beide werden nie peinlich.
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