Goethe im Denken von Peter Häberle
Klassikertexte im Verfassungsleben
Ettore Ghibellino, Johann Wolfgang Goethe, Peter Häberle
Mit 180 ausgewählten Goethe-Zitaten entsteht hier ein Panoramabild über die literarische Produktion des wirkungsmächtigen deutschen Staatsrechtslehrers Peter Häberle. Seine Belesenheit ist umfassend, doch erweist sich Goethe als meistzitierter Klassiker in seinem Gesamtwerk. Goethe wird über die ganze Breite des modernen Verfassungsrechts im 21. Jahrhundert aktualisierend „mitgenommen“, er übertrifft damit bei weitem von Häberle oft zitierte Klassiker der Staatstheorie wie Platon, Aristoteles, Locke, Montesquieu, Kant und Popper, die auf wenige verfassungsrechtliche Themen beschränkt werden. Häberle eignet sich Goethes Denken an, um es in einen Zusammenhang mit dem Verfassungsrecht zu setzen und fortzuentwickeln.
Dies mag auf den ersten Blick überraschend erscheinen, war Goethe doch als „Superminister“ des Duodezfürstentums Sachsen-Weimar und Eisenach ein stets zuverlässiger Diener des aufgeklärten Absolutismus. Doch Goethe erlebte hautnah Kriege, Umbrüche und Neuordnungen: die Amerikanische (Unabhängigkeitserklärung 1776) und die Französische Revolution (1789), die umfassenden epochalen Gesetzeswerke im napoleonischen Kaiserreich sowie die stabile Weiterentwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika als demokratische, föderale Verfassungs-Republik, die Grundrechte und Gewaltenteilung umsetzten und das Gemeinwohl als oberstes Staatsziel erklärten. Goethe reflektiert diese Ereignisse in seinem literarischen Werk, allen voran in seinem Bildungs- und Erziehungsroman ‚Wilhelm Meister‘ sowie im ‚Faust‘, die weitsichtig die Entwicklung hin zum modernen Rechts- und Verfassungsstaat voraussehen.
Das Rundbild über Häberles Schaffen, im ersten Teil durch aktualisierte Goethe-Gedanken gewonnen, wird in einem zweiten Teil erweitert und vertieft: zum einen durch einen jüngeren Vortrag Häberles, der seinen genialen Wurf einer ‚Verfassungslehre als Kulturwissenschaft‘ aus dem Blickwinkel von ‚Poesie und Verfassung‘ veranschaulicht. Es folgen zwei Fachgespräche über ‚Poesie und Kultur im Verfassungsrecht‘ mit Hèctor López Bofill und Raúl Gustavo Ferreyra.
Häberle erweist sich als Kartograf, der die Terra incognita, die „universale Verfassungslehre“ als einer der Ersten erforscht und beschreibt, um als deren Zentralstern die ‚Verfassungslehre als Kulturwissenschaft‘ zu erkennen. Zuletzt ergründet Häberle den werdenden Konstitutionalismus in Afrika in seiner Monografie ‚Ein afrikanisches Verfassungs- und Lesebuch – mit vergleichender Kommentierung‘ (2019), um den Prozess im universalen Konstitutionalismus einzuordnen.
Der Staatsrechtslehrer Peter Häberle gilt als einer der „weltweit wirkungsmächtigen Europäischen Juristen“, als „Wunderkind des Rechts“, ihm sei die „bedeutsamste Verfassungstheorie der Gegenwart“ zu verdanken. Bereits zu Lebzeiten ist Häberle ein Klassiker von stets wachsender Bedeutung wie Faszinationskraft. Möge die vorgelegte Auswahl zur Entdeckung des stupenden Werkes Peter Häberles sowie zur (Wieder-)Beschäftigung mit Goethe anregen.