Kindheitsgenealogien
Literatur und Kindheit im ›Jahrhundert des Kindes‹ in Österreich
Ernst Seibert
Sowohl im Buchhandel als auch in der schulischen oder Privatlektüre von Kindern und Jugendlichen ist zu beobachten, dass Kinder- und Jugendliteratur fast ausschließlich als Gegenwartsliteratur behandelt wird. Selbst im theoretischen Zugang auf diese Literaturgattung befasst man sich verständlicher Weise zum überwiegenden Teil mit ihrer Aktualität und nicht mit ihrer historischen Entwicklung. Aber schon bei der Kanon-Diskussion stellt sich die Frage, was an älteren Werken sollte noch im Gespräch bleiben? Kinderbuch-Klassiker wie »Oliver Twist« oder »Alice« aus dem tiefen 19. Jahrhunderten lassen erkennen, dass die allgemeine Literaturgeschichte von bisweilen sehr faszinierenden Kindheits- und Jugend-Vorstellungen begleitet wird. Sie sind Gegenstand einer Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur, zu der es auch in Österreich seit geraumer Zeit zahlreiche Publikationen gibt. Das vorliegende Buch stellt sich die Aufgabe, die Vielzahl solcher Beobachtungen mit Konzentration auf das 20. Jahrhundert in ihren teils beharrenden und teils innovativen Entwürfen und Experimenten erkennbar zu machen. Damit soll ein wenig beachtetes, vielfach aber erstaunliches Quellenmaterial in größeren stoff- und motivgeschichtlichen Zusammenhängen freigelegt werden. Im ersten Teil erfolgt dies in Jahrzehnten-Übersichten, im zweiten in Einzelstudien zu den wichtigsten Werken und ihren Autorinnen und Autoren.