Kirchenkunst im Nationalsozialismus
Claus Bernet
Man denkt zunächst, dass das Himmlische Jerusalem und der Nationalsozialismus kaum gegensätzlicher sein könnten: hier eine harmonische Utopie von Frieden und Barmherzigkeit, dort eine menschenverachtende Dystopie von Selbstherrlichkeit und Größenwahn; hier ein Ort aller Völker und Rassen, dort ein Reich eines Herrenvolkes über eine versklavte Welt.
Doch das ist nur der erste Eindruck. Bei genauerer Betrachtung wird man feststellen müssen, dass auch in der Größe, dem Absolutheitsanspruch und der Trennung zwischen angeblich guten und den bösen Menschen Ansätze liegen, die sich im Nationalsozialismus pervertieren und missbrauchen ließen und Werke entstehen ließen, die Wehrhaftigkeit, germanische Wurzeln oder Mittelalterromantik betonten, am ehesten sicherlich in der Druckgrafik. „Völkisch“ sollten die Darstellungen sein, und war nicht Jerusalem der Ort, an dem alle Völker der Welt zusammenkommen sollten?
Keineswegs sind alle hier besprochenen Künstler und Künstlerinnen überzeugte Nationalsozialisten gewesen, allein schon deswegen hat der Band auch den Titel „Kirchenkunst im Nationalsozialismus“ und nicht „Kirchenkunst des Nationalsozialismus“. Vielmehr geht es darum, die Kunst aus den Entstehungsumständen besser zu verstehen und sie nicht allein als künstlerische, sondern auch als soziale Werke wahrzunehmen. Im Gegensatz zu anderen Publikationen werden daher Bezüge zur nationalsozialistischen Ideologie nicht einfach weggelassen sondern nach Möglichkeit in den Kontext künstlerischen Schaffens gestellt. Andererseits können viele auch nicht pauschal dem Widerstand zugerechnet werden, sonst wäre es ihnen auch kaum möglich gewesen, beruflich aktiv zu bleiben, manche durchaus erfolgreich und gefeiert: Giorgio de Chirico, Hermann Baumeister oder Fritz Möhler könnten hier angeführt werden. Andere jedoch, wie Édouard Joseph Goerg oder Ernst Maria Fischer standen dem Dritten Reich kritischer gegenüber, ließen sich nicht korrumpieren – ob man ihre Haltung auch ihren Kunstwerken ansieht, muss dem Betrachter oder der Betrachterin überlassen bleiben.