Kritik der Ausstellung
Martin Schmidl
Der Boom des Ausstellungswesens und die Profilierung seiner Protagonist*innen geht mit ebenso viel Aufmerksamkeit wie
Kritik einher. Freie und institutionelle Ausstellungen sind Orte der Begegnung, Repräsentation und Vermittlung, an denen
virulente Diskurse verhandelt werden. Die weltweit zahlenmäßig explodierenden Ausstellungsproduktionen und Kunstinstitutionen werden aber oft nur noch als inszenierte Spektakel wahrgenommen, während die inflationäre Allgegenwart des „Kuratierens“ sich nicht mehr als Fach-, sondern Modebegriff durch sämtliche Diskurse und Disziplinen zieht.
Die wachsende Bedeutung des Mediums Ausstellung gründet aber vor allem in seiner zentralen Relevanz für künstlerische
Theorie und Praxis sowie in vielfältigen gesellschafts- und kulturpolitischen Potenzialen: Als ästhetische Erfahrungs- und
Resonanzräume aktivieren sie das Publikum und bilden (Gegen-)Öffentlichkeiten, dabei erlauben sie multidirektionale
Formen der Erinnerung und die kritische Situierung und Reflexion aktueller wie historischer Ereignisse.
Trotz des breiten Forschungsinteresses für einzelne Aspekte des Ausstellens fehlt es bisher an einem ausgefeilten Instrumentarium, um die Komplexität dieses kunstwissenschaftlich wie auch gesellschaftlich wichtigen Phänomens als Ganzes zu erfassen.
Martin Schmidl nähert sich dem vielschichtigen Format Ausstellung multiperspektivisch und er-weitert die herkömmlichen
Beschreibungsmodelle um Parameter aus anderen Kritikkulturen (u.a. Architektur, Design, Theater und
Literatur), um eine ganzheitliche Beurteilung zu ermöglichen. Anhand ausgewählter Beispiele (u. a. dem kontrovers diskutierten
Humboldt Lab oder der in situ-Installation „Silberne Frequenz“ des Lichtkünstlers Otto Piene am Westfälischen
Landesmuseum in Münster) entwirft Martin Schmidl Fragen und Kriterien zur Interpretation der Gestaltung und Geschichte
der Ausstellung, eine differenzierte Beschreibung der spezifischen Atmosphären und Materialien dieser Werkform
sowie eine systematische Kritik ihres Status quo und wagt abschließend einen spekulativen Ausblick auf die Zukunft des
Genres. Als Ergänzung zahlreicher Untersuchungen der jüngeren Zeit bildet diese Textsammlung die Basis für eine informiertere und fundiertere Analyse von Ausstellungen.