Missionskinder
Migration und Trennung in Missionarsfamilien der Basler Mission des 19. Jahrhunderts
Dagmar Konrad
„Die Frömmigkeit, die die Eltern hatten! Da habe ich gedacht, die müssen doch ganz anders handeln. Die müssen uns doch lieb haben mit dieser Frömmigkeit. Kleine Kinder können nicht verstehen, warum es etwas Wichtigeres gibt als ihre eigenen Kinder. Das haben wir nicht verstanden. Und ich verstehe es eigentlich bis heute noch nicht.“
Frieda Göttin, ehemaliges Missionskind, als über 80-Jährige
Nach der Kinderverordnung der Basler Mission von 1853 mussten Kinder von Missionspaaren spätestens im Alter von sechs Jahren aus den damaligen Missionen in Indien, Afrika und China nach Europa gesandt werden. Dort wuchsen sie im Kinderhaus der Basler Mission oder bei Verwandten in Süddeutschland oder der Schweiz auf.
Eltern und Kinder lebten auf unterschiedlichen Kontinenten und in unterschiedlichen Kulturen. Häufig sahen sie sich jahrzehnte- oder lebenslang nicht wieder. Viele Kinder sprachen kein Deutsch und die einstige Heimat ihrer Eltern war ihnen ebenso fremd wie umgekehrt Asien und Afrika einst für ihre Mütter, den sogenannten Missionsbräuten, und ihren Vätern, den Missionaren, gewesen war. Eine Verbindung zu den Eltern über die Kontinente hinweg war nur noch brieflich möglich. Ihre später geborenen Geschwister kannten sie nicht.
Migration und Trennung bestimmte das „Familienleben.“ Die Familien befanden sich in einem Prozess ständig neuer Migrationen. Ein Kind nach dem anderen ging nach Europa. Manche Eltern kehrten kurzzeitig für einen Heimaturlaub zurück, um aber alsbald wieder nach Übersee zur Missionsarbeit aufzubrechen. Entfremdung, emotionale Distanz und letztlich gebrochene Familienbiografien waren häufig eine Folge.
Persönliche Briefe, Tagebücher, autobiografische Aufzeichnungen, Fotografien aus Privatbesitz sowie offizielle Dokumente aus dem Archiv der Basler Mission bilden die umfangreiche Quellenbasis dieser Studie und zeichnen ein dichtes und facettenreiches Bild von historischem Familienleben in der Mission. Aus der Perspektive der Mütter, Väter, Erzieherinnen, indigenen Kindermädchen, dem Basler und Württemberger Umfeld wird das bisher kaum erforschte Schicksal der „kinderlosen Eltern“ und „elternlosen Kinder“ beleuchtet.
Der Autorin gelingt dabei der Bezug zur Gegenwart, denn das Leben in zwei oder mehr Kulturen und die daraus resultierende Problematik von Verlust und Trennung, von Fremdsein und Entfremdung, von Inter – und Transkulturalität ist heute aktueller denn je.