Psychoanalyse der weiblichen Entwicklung
Frauen und ihre gesellschaftliche Unbewusstheit
Sieglinde Eva Tömmel
Frauen lieben und hassen, sie bewundern und unterwerfen sich; sie idealisieren Männer als Väter und Beschützer, während die meisten Männer froh zu sein scheinen, selbst beschützt zu werden, zuweilen bewusst, meist eher unbewusst.
Schicht- und Klassenangehörigkeit bedingen Unterschiede: Es ist die Frage, ob Frauen in der Mehrheit durch einfache oder doch auf sehr komplexe psychische Weise diskriminiert werden. Das hängt von zahlreichen gesellschaftlichen und individuellen Faktoren ab, die im Einzelnen zu benennen sind. Wichtig ist aber auch, zu sehen, dass Frauen selbst einen entscheidenden Anteil an ihrer Situation haben: Frauen gelingt es zu wenig, ihren Anteil am Gelingen gesellschaftlicher Arbeit zu würdigen. Im Gegenteil erleben sie sich selbst als unterdrückt, von Verlassenheit bedroht, von Einsamkeit geplagt, von Sorgen um Schönheit terrorisiert, von körperlicher Sehnsucht geplagt.
Die Regression zu kindlicher Unschuld, zu zuckersüßer oder gar masochistischer Unterwerfung, zur Knechtung des eigenen Körpers, zur Infantilisierung der eigenen Persönlichkeit scheint erträglicher als der Kampf um Menschenrechte, gegen falsche Benennung, theoretische Verurteilung, diskriminierende Bezeichnungen. Traditionen aus Jahrtausenden machen es allerdings schwer, die allgemeine und individuelle Situation ebenso wie das Selbstbewusstsein entscheidend zu verändern.
Für die Psychoanalyse heißt das: Trotz der Bewunderung für Sigmund Freuds Werk im Allgemeinen und trotz der anhaltenden Wertschätzung seines Gesamtwerkes ist seine Theorie der Weiblichkeit zu dekonstruieren und neu zu formulieren: Dazu gehört die Eliminierung seiner männerdominierten Begrifflichkeit wie Kastration, Penisneid, mangelndes Überich, ödipaler Komplex, Untergang des Ödipuskomplexes als Einlaufen in den väterlichen Hafen aufgrund mangelnder Kastrationsangst usw. Diese von Freud eingeführten Begriffe sind nicht mehr nur in Frage zu stellen – das werden sie von zahlreichen Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytikern schon seit langer Zeit –, sondern sie sind durch passendere, wissenschaftlich gesichertere Begriffe und Hypothesen bzw. in einer methodisch reflektierten Theorie zu ersetzen.