Salon.Text.Garten.
Die Topologie der Weisheit in den ,Fables choisies, mises en vers’ von Jean de La Fontaine
Jakob Peter
Ist es für den Erfolg einer Unterweisung entscheidend, wo sie platziert ist? Diese Frage wird aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive an die Fables choisies, mises en vers des französischen Fabeldichters Jean de La Fontaine gestellt. Inwiefern beeinflusst also der Ort des Lehrsatzes die Weisheit, die Lehre einer Fabel? Deren scheinbar einfache Verortung ist bei La Fontaine kompliziert, da sie entgegen der verbreiteten Auffassung nicht auf der Hand liegt, sondern versteckt als impliziter Lehrsatz auftritt. Seine Fabeln sind im Kontext kulturgeschichtlicher Entwicklungen zu lesen, insbesondere der Herausbildung des gesellschaftlichen Verhaltensideals der ›honnêteté‹ und der literarischen Kunst der Beobachtung des Moralismus. Sie greifen jedoch vor allem ästhetische Prinzipien auf, die den französischen Landschaftsgarten geprägt haben: geometrische Strukturen, Perspektivwechsel, gezielte Blicklenkung und Überraschungen lassen das Publikum wie bei einem Spaziergang in Muße von Fabel zu Fabel schreiten. Die Weisheit entfaltet sich dabei in der Analyse einer einzelnen, der vergleichenden Lektüre mehrerer Fabeln sowie in der Betrachtung der Sammlung als Ganzschrift.