Siedler am Tschadsee
Hausa-Migranten und die Aneignung lokaler Ressourcen im ländlichen Nigeria
Holger Jebens, Karl-Heinz Kohl, Matthias Krings, Editha Platte
Als der Tschadsee in den 1970er Jahren in Folge der Saheldürren zu schrumpfen begann, zählten mobile Hausa-Fischer zu den Pionieren, die vom Wasser freigegebene Flächen fruchtbaren Seebodens in Ackerland und Siedlungsfläche verwandelten. Dieses Neuland stellte ein soziales und politisches Vakuum dar, wie es in Afrika zu dieser Zeit kaum noch existierte. Mehr als dreißig Jahre nach diesen Siedlungsgründungen bestehen komplexe soziale und ökonomische Netze – ähnlich den zahlreichen anderen Hausa-Siedlungen, die von Westafrika bis Nordostafrika zu finden sind –, die das angestammte Hausa-Land mit der Diaspora verbinden. Marktorientierter Feldbau und kommerzieller Fischfang bilden hierbei die wirtschaftliche Basis.
Die vorliegende Arbeit untersucht, mit welchen Mitteln sich die Hausa am See etablieren konnten und auf welchen sozialen und ökonomischen Prinzipien ihr Erfolg als Siedler beruht. Der besondere Schwerpunkt liegt hierbei zum einen auf der ökonomischen Basis der Migranten, die von ihrem Zugang zu den stetig knapper werdenden Ressourcen Land und Wasser abhängt und zum anderen auf der sozialen Basis, der Reproduktion und damit den Überlebensstrategien der Siedler-Gemeinschaft. Die Geschichte der Migrationsforschung in Afrika weist in erster Linie Erkenntnisse über Formen von neuen Gemeinschaften und ihren Konstruktionsprinzipien in den urbanen Migrationszentren und damit der Situation von Lohnarbeitern auf. Die im Zentrum dieser Arbeit stehenden Siedler, die über den Zugang zu Anbauflächen und Fischgründen verfügen arbeiten hingegen als selbstständige Unternehmer, die mit dem Ziel der Überschussproduktion und damit der Teilnahme an den lokalen und überregionalen Märkten produzieren.
Im 1. Kapitel stellt der Autor Kopytoffs „frontier process“ als idealtypisches Modell der Gemeinschaftsbildung in „frontier-Räumen“ des historischen Afrika und das Konzept der Hausa-Diaspora vor und überprüft die Übertragbarkeit auf das Besiedlungsphänomen am Tschadsee. Anstelle einer Diaspora-Theorie wird im 2. Kapitel ein Katalog der zentralen Merkmale dieser Gemeinschaften aufgestellt und die These einer „Diaspora-Technik“ der Hausa vertreten, die den Siedlern dazu dient, sich als distinkte Gemeinschaften in fremden Umgebungsgesellschaften zu behaupten, um dort wirtschaftliche Aktivitäten zu entfalten.
Das 3. Kapitel widmet sich den natürlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen der Kolonisierung des Naturraums Tschadsee. Am Beispiel der Siedlung Koloram werden im 4. Kapitel die sozialen Siedlungsstrukturen und im 5. Kapitel die ökonomischen und politischen Strategien der Hausa-Siedler dargestellt. Das 6. Kapitel stellt die Argumente vor, mit denen die Akteure ihre Rechte an Ressourcen behaupten und beschließt den Band mit der Frage nach den Zukunftsperspektiven der Migranten.
Über den Autor:
Dr. Matthias Krings, der hiermit seine überarbeitete Dissertation vorlegt, ist Professor für Ethnologie am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Gutenberg-Universität in Mainz.