Tagesträume 1971-2021
Uschi Brüning
Im Booklet geblättert: (von Ulf Drechsel 2022)
ICH BIN IHR FAN!
Einer von unzähligen – jeglichen Geschlechts, die Uschi Brüning vertraut-freundschaftlich einfach Uschi oder ehrfurchtsvoll Die Brüning nennen. Wie kann jemand nicht ihr Fan sein? Ich weiß es nicht. Uschi ist umwerfend. Eine Künstlerin ohne Show, ohne große Geste, ohne Klimbim. Uschi Brüning singt. That’s it! Seit über fünf Jahrzehnten. Und wie ein Single-Malt-Whisky, der viele Jahre im Sherry- oder Eichenfass lagert, wird auch ihre Stimme immer besser, kräftiger, reifer. Erstmals bewusst erlebt habe ich Uschi Brüning in den 1970er Jahren als Sängerin des Günther Fischer-Quintetts. Da stand eine schüchterne Frau mit markanter Brille vor der Band und hielt sich fast unbeholfen mit beiden Händen am Mikrofon fest. Während sich Uschi bis zu ihrem Einsatz völlig fehl am Platz zu fühlen schien, war sie, als sie zu singen begann, zu einhundert Prozent präsent und beherrschte das Geschehen, wurden alle Äußerlichkeiten zur absoluten Nebensache. Seither gehört Uschi Brüning zu meinem Leben mit dem Jazz. Zu ihrem Leben gehörte das Singen schon sehr viel früher.
DIE KINDHEIT WAR ENTBEHRUNGSREICH.
Geboren wurde Uschi Brüning am 4. März 1947 in Leipzig als zweite Tochter einer alleinerziehenden und überforderten Mutter. Beide Schwestern kamen in ein katholisches Kinderheim, als Uschi fünf Jahre alt war. Zwei Jahre Horror, der zumindest dann ein wenig verblasste, wenn Uschi singen konnte. Ohne Gesang konnte sie sich ihr Leben nicht mehr vorstellen. Am 6. Dezember 1960 steht sie dreizehnjährig erstmals auf einer Bühne. Singt vor Werktätigen des VEB Galvanotechnik Leipzig den Connie Francis-Hit Die Liebe ist ein seltsames Spiel. Mit 17 wird Uschi Sängerin der Amateurband Studio Team. In der Woche arbeitet sie als Gerichtssekretärin, an den Wochenenden tingelt sie in Leipzig und dessen Umland mit internationalen Soul-Hits und Popsongs durch die Tanzsäle. Dass die Sängerin eine Stimme hat, die der von Aretha Franklin kaum nachsteht, spricht sich schnell herum. Bis ins entfernte Berlin sogar, wo 1969 Klaus Lenz auf Uschi Brüning aufmerksam (gemacht) wird und sie zu einer »Audition« in die Hauptstadt einlädt. Uschi Brüning wird Sängerin der Klaus Lenz Band. Neben Manfred Krug, den sie bis heute verehrt und mit dem sie in den letzten Jahren vor dessen Tod im Jahr 2016 wieder gemeinsam auf der Bühne und im Studio stand.
GUT 50 JAHRE PROFISÄNGERIN
Eine unvollständige aber durchaus repräsentative Auswahl von Aufnahmen aus den Jahren 1971 bis 2021 finden Sie auf diesem Doppelalbum. Je eine Kollektion deutsch- und englischsprachiger Aufnahmen. Schlager neben Free Jazz, Pop neben Chanson, Big Band neben Duo. Tauchen Sie ein in die musikalisch bunte Welt von Uschi Brüning und hören sie die Musik vielleicht als Soundtrack zu ihrer 2019 bei Ullstein erschienenen Autobiografie So wie ich.
EINE FRAGE STEHT IM RAUM:
Warum ist Uschi Brüning eigentlich kein Weltstar? Sie hat doch alle künstlerischen Voraussetzungen dafür! Ja, aber sie stand und steht sich manchmal selbst im Weg. Sie drängt sich nicht auf, ist zurückhaltend und bescheiden, geht freundlich mit Menschen um, ohne Ellenbogen zu benutzen. Sie sagt nicht: Hier bin, ich kann das! Sie sagt nichT.: Ich will! Sie ist glücklich, wenn sie darf. Sie macht, was sie macht. Mit großer Leidenschaft und Hingabe. Nie halbherzig und immer professionell.
Deshalb kann ich nur bekräftigen: Ich bin ihr Fan!