Über Polarisierung
Studien zur Entwicklung des liberalen Kulturverständnisses seit Adorno
Ralph Szukala
Vor dem zeitgeschichtlichen Erfahrungshintergrund eines massiv anwachsenden Integrationszwangs in den hochentwickelten liberalen Gesellschaftsformationen und deren globaler Abspaltung als Wohlstandsinseln von der übrigen Welt geht diese Untersuchung der Idee dessen nach, was man, wenn die Begriffe nicht einigermaßen desavouiert wären, „liberale Kultur“ nennen könnte. Konstruktive Absicht ist es, an eine liberale Alternative zur heute maßgeblichen pluralistischen Gesellschaftsauffassung zu erinnern – doch so, dass zugleich deutlich wird, wie und warum diese Alternative aus dem Horizont des liberalen Kulturverständnisses eliminiert worden ist. Den paradigmatischen Gegenstand, an dem die allgemeinen Überlegungen konkret erläutert werden sollen, stellt die Philosophie Theodor W. Adornos dar, vorzüglich aber dessen ästhetische Theorie, sowie deren Rezeption seit 1970. Denn geht man von der allgemeinen Voraussetzung aus, dass sich das Ästhetische zum Zentralgebiet des Politischen, im Sinne einer Auseinandersetzung um die ‚richtige‘ Ordnung des menschlichen Zusammenlebens, entwickelt hat, derart dass ästhetische Entscheidungen unmittelbar eine politische Bedeutung haben, oder besser: politische Handlungen darstellen, und zieht man des weiteren die (natürlich zu begründende) Hypothese in Betracht, dass die „Ästhetische Theorie“ Adornos den letzten bedeutenden Versuch darstellen könnte, eine liberale Alternative zur vorherrschenden Kulturauffassung sichtbar zu machen, dann muss die Deutung und Umdeutung seiner Philosophie im zeitanalytischen Sinn als verlässlichster Ausdruck und Indikator von Entwicklungstendenzen des Denkens und des kulturellen Selbstverständnisses begriffen werden.