‚Umkehr der Räume‘
Rainer Maria Rilkes Poetik der Bewegung
Jana Schuster
Rilkes Poetik entwickelt sich aus seiner intensiven Auseinandersetzung mit den bildenden Künsten, namentlich der Plastik und Graphik Rodins und der Malerei Cézannes, seiner Rezeption des zeitgenössischen Tanzes um 1900 sowie seiner Empfindlichkeit für akustische Phänomene und seinen Überlegungen zur Gesetzlichkeit der Musik. Während Rilke einerseits den Bildkünsten das dynamische Potential der Wahrnehmung zuschreibt, so hebt er andererseits an der Musik die raumzeitliche Ordnungsmacht des Klangs und am Tanz die Form- und Gestaltbildungskraft des Vergehenden hervor. Seine Poetik arbeitet daran, diese beiden Tendenzen im sprachlichen Gefüge des Gedichts, vorzüglich in der generischen Form des Sonetts, miteinander zum Ausgleich zu bringen. In der konsequenten Einstellung auf die Raum und Zeit, Form und Gestalt allererst bildende Kraft der Bewegung leistet Rilkes Poetik einen spezifisch dichterischen Beitrag zu einer modernen Ästhetik des Flüchtigen.