Weltrisikogesellschaft als Ausnahmezustand
Markus Holzinger, Stefan May, Wiebke Pohler
Seit geraumer Zeit sind spätmoderne Gesellschaften Zeugen neuer globaler Risiken, die mit einer Expansion politischer Handlungszwänge und Entscheidungsnotwendigkeiten einhergehen.
Der Begriff ‚Ausnahmezustand‘ fasst die in diesem Buch betrachteten Konsequenzen dieser Prozesse wie unter dem Brennglas zusammen: In allen Fällen tritt ein in Anspruch genommenes
Ausnahmerecht an die Stelle des Normprogramms.
Offenbar ist die größte Gefahr oftmals nicht das Risiko selbst, sondern
vielmehr seine Antizipation und Wahrnehmung, in deren Folge Gefahrenphantasien und Gegenmittel freigesetzt werden, die die moderne Gesellschaft ihrer bisherigen Handlungsfähigkeit berauben
könnten. Die vorliegende Studie unternimmt den Versuch, sich dieser Dynamik unter der analytischen Perspektive des Wechselverhältnisses
von ‚Regel‘ bzw. ‚Normallage‘ und ‚Ausnahme‘ bzw. ‚Ausnahmezustand‘ zu nähern.
Sie diskutiert das Spannungsverhältnis von Normallage und Ausnahme
als analytische Folie, um die ‚Normalität der Ausnahme‘ in vier unterschiedlichen Theoriediskursen nachzuzeichnen und aufeinander
zu beziehen. An den exemplarischen Fallbeispielen globaler Gesundheitsrisiken sowie globaler Terrorrisiken werden dann eben jene Ausnahmen als Normalität der Weltrisikogesellschaft näher bestimmt.
An diesen Fallbeispielen soll nachgezeichnet werden, welche
politischen, rechtlichen oder auch sozialen Veränderungen mit einer weltrisikogesellschaftlichen Modernisierung unter dem Fokus der Wechselbeziehung von Regel und Ausnahme einhergehen. So haben die Terroranschläge des 11. September 2001 offenbar nicht nur unser Lebensgefühl erschüttert, sondern auch unser rechtliches Kategoriensystem. Die unser Weltbild bisher tragenden Unterscheidungen
von Krieg und Frieden, Militär und Polizei, Krieg und Verbrechen,
innerer und äußerer Sicherheit, ja von innen und außen ganz allgemein scheinen seither aufgehoben. Fraglich ist dabei insbesondere,
ob die herkömmliche Trennung zwischen Kriegsrecht, Polizeirecht
und Strafrecht an unserer heutigen Situation vorbeigeht und wir deshalb wir neue Begrifflichkeiten brauchen. Abschließend wird im Anschluss an die vorgestellten Theorien des Ausnahmezustands und bezogen auf die vorgestellten Fallbeispiele präzisiert, welche politischen Herausforderungen in Zukunft mit dem Begriff des Ausnahmezustands
verbunden sein dürften.