Zum Inhalt des Jahrbuches Mittelost 2016
Im Jahr 2016 ergriff der islamistische Terror mit voller Kraft nicht nur Europa, sondern ebenso Deutschland. Er traf die fünf Städte Hannover, Essen, Würzburg, Ansbach und Berlin. Im jährlichen Bericht des Verfassungsschutzes wurde das Islamismus-Potenzial gar mit 25.000 Personen angezeigt, wird von starker Jihadisierung von dazu Willigen durch Cyberia und die Radikalisierung an den Rändern im Ringen um die Mitte gesprochen.
Ebenso betonte der Bericht nun die sunnitische Seite des Islamismus, vor allem, weil sich in der Global-ära ab 1990 die vorhandenen Gruppen in den Staaten durch die Migration und Medien veränderten. Ein vorläufiges Fazit: die Betroffenen beginnen, Muslime und Islamisten zu unterscheiden. Auch deshalb, um bei aktuellen Anlässen nicht alle Gläubigen zu verdächtigen oder zu beschuldigen, sondern allein die Aktivisten wie Jihadisten mit ihren gewaltorientierten Auslegungsarten des Glaubens.
Wie Bürger in Amerika, Mittelost und Europa Lösungen suchen und erproben, um nachhaltig Leben zu sichern, zeigt das Mittelost Mosaik 2016 in 64 Beiträgen. Eine liberale Gegenideologie scheint auf. Einen Antiislamismus verfolgen oft solche Reformmuslime, die sich aus der Zwangslage im Sog global agierender Terrorvereine wie die al-Qaida und der „Islamstaat samt Kalifat in Irak und Syrien“ zu befreien suchen. Dies wird überlagert durch Sektenzwiste unter Schiiten und Sunniten, die sich verstärken. Eine Sonderrolle spielt der Atompakt mit dem schiitischen Teheran, der seit Jahresbeginn voll wirksam ist. Durch Kanzlerin Merkel als Sieg der Diplomatie gefeiert, droht er aber, ein nukleares Wettrüsten in Mittelost zu entfesseln.
Zugleich geht es um den Wandel einer Welt, die in drei Regionen aus den Fugen zu geraten scheint: durch Amerikas Wechsel zu Präsident Donald J. Trump, Ägyptens amtlichen Antiislamismus unter Präsident Abd al-Fattah as-Sisi und Angela Merkels Kurs der offenen Tür für Flüchtlinge, der Londons Brexitentscheidung beflügelte. Der Mittelosthistoriker Wolfgang G. Schwanitz forscht im Regionaldreieck Amerika, Mittelost und Europa seit dreieinhalb Dekaden. In seiner vierten Jahresschau erkundet er die Geschichte seit den Kaiserdeutschen, die, wie die Leipziger „Illustrirte Zeitung“ zeigt, mit Osmanen im Ersten Weltkrieg den Islamismus jihadisierten. Der Leser mag prüfen, ob der jetzige Globalkrieg nicht einem historischen Bumerang auf diese Politik gleicht.
Ein Pionier dieser Weltgeschichte, der Islamhistoriker Bernard Lewis, feierte 2016 seinen 100. Geburtstag. Ihm ist dieses Mosaik gewidmet. Seine Karriere währt seit einem Dreivierteljahrhundert, vom Buch über die Islamgilden 1937 bis zu seiner Biographie 2012. Auf halbem Weg trat er 1969 in mein Leben, notiert Daniel Pipes im Vorwort. Er kaufte sich in Ludwig Mayers Jerusalemer Buchladen dessen The Arabs in History, studierte auch in Kairo und etablierte im pennsylvanischen Philadelphia das Mittelostforum, das seit 25 Jahren sichtlich gedeiht.
Aktualisiert: 2020-12-12
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Ägypten war eines der Länder, das im Arabischen Frühling in das Zentrum der Aufmerksamkeit der Medien rückte. Doch die anfängliche Euphorie für die Revolution schwand schnell. Die Muslimbruderschaft, die trotz zeitweiligen Verbots und Einschränkungen die wichtigste Oppositionsbewegung darstellte, konnte sich im Zuge der Revolution frei entfalten, eine parlamentarische Mehrheit erlangen und den Präsidenten stellen. Massenproteste führten jedoch dazu, dass dieser erste frei gewählte Präsident bereits ein Jahr danach wieder vom Militär gestürzt und durch einen General ersetzt wurde. Ohne großes Aufsehen der Weltöffentlichkeit – Syrien und die Fluchtbewegung nach Europa kamen nun in den Fokus – konnte sich in Ägypten erneut ein Militärregime etablieren, das jegliche Opposition und freie Meinungsäußerung mit eiserner Hand unterdrückt und die einstigen Träume der Revolution in weite Ferne rückt. Die führenden Köpfe der Muslimbruderschaft sind verhaftet, untergetaucht oder emigriert. Aber auch liberale Kräfte, die die Revolution initiierten, sitzen gleichermaßen im Gefängnis oder verlassen Ägypten. Wie ist es dazu gekommen? Wie kam es zum Aufstieg und Fall der Muslimbruderschaft und welche Rolle spielten dabei die Medien? Welche Entwicklungen lassen sich seit 2013 verfolgen? Der Sammelband vereinigt eine zeitgeschichtliche Analyse des FAZ-Korrespondenten Markus Bickel, eine historische Studie von Martina Schmidl zur Frage der Gewaltanwendung gegenüber den Muslimbrüdern und ihrer Haltung zur Gewalt sowie einen Beitrag von Aisha Essam al-Haddad, der Tochter des außenpolitischen Beraters Mursis, zur Darstellung der "Islamisten" in den ägyptischen Medien. Eines ist sicher: Ägypten bleibt ein Pulverfass und der politische Islam wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen.
Aktualisiert: 2023-02-14
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