Aleksej Wengerow am 01.07.2016 in einem Interview von "Radio svobody":
Angelegt war das Projekt – und wie sich zeigt, wird es dergestalt auch realisiert – ausschließlich auf Aufklärung, ohne Anspruch auf klassische wissenschaftliche Bearbeitung. Bedingt durch eine ganze Reihe von Umständen, die noch im 20. Jahrhundert liegen, in der russischen Geschichte, und am Anfang dieses Jahrhunderts, ist das Kulturempfinden für vergangene Zeiten, so scheint uns, stark im Untergehen begriffen. Um diesem Trend [...] entgegen zu wirken, haben wir dieses Aufklärungsprojekt ersonnen und versuchen es umzusetzen. Was bedeutet das? Dass dies keine Buchkunde ist, nicht Geschichte und nicht Literaturwissenschaft und natürlich ohne jeglichen Anspruch auf bibliographische Forschung. All diese Dinge sollten sich nach unserem Plan als Begleitfragmente der Grundlinie dieses Aufklärungswerks ergeben, denn in all diesen Bänden ist das BUCH, groß geschrieben, als dasjenige Instrument aufzufassen, das eine Reihe historischer Ereignisse erhellt, die sich logischerweise in chronologischer Reihenfolge in Russland abgespielt haben; es sollte vor allem ein Gegenstand der Kulturwissenschaft sein, denn es ist ein Denkmal der Geschichte. Wenn man etwa bedenkt, dass ein Buch in einen Einband seiner Zeit gebunden ist, so konnte die erste Ausgabe von »Ruslan und Ludmila« der Autor Alexander Sergejewitsch Puschkin in Händen halten, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mag das Buch mit einem Autograph Iossif Brodskis diesem gehört haben, und das war zweifellos auch der Fall. Und so weiter. Und dann beginnt den Büchern der Geruch der Zeit anzuhaften. Bücher sind nicht einfach bloß gedruckte Materialien, meinen wir, da in der Diskussion über das Buch der Zukunft heutzutage der Standpunkt immer mehr dominiert, dass sich das Buch überlebt habe. Ja, in Bezug auf die reine Informationsvermittlungmag das schon so sein.Obgleich selbst das lediglich eine von mehrerenHypothesen ist. Doch in kulturwissenschaftlicher Hinsicht ist die Herstellung einer physischen Verbindung der Zeiten und die Stärkung der von den Nachkommen nach den Vorfahren ausgestrecktenHand durch das Buch eine unbestreitbare Tatsache, und man wird mich schwerlich eines Besseren belehren können. So empfinde ich es an mir selbst, wenn es sich um Bücher meiner unmittelbaren
Vorfahren handelt, die in diesem Land gelebt haben. Darum ist dies ein Projekt der Aufklärung oder der kulturellen Aufklärung, als dessen Hauptgegenstand, als das Subjekt, durch das die Geschichte erhellt wird, das BUCH gewählt wurde. Was die Frage angeht, nach welchem Prinzip die Bücher ausgewählt wurden, so ist in den ersten drei Bänden [der Bibliochronik] das oberste Prinzip – das Fehlen eines Prinzips. Das waren Bücher, die den Herausgebern gefallen haben. Das Einzige, was ihre Platzierung in dem jeweiligen Band grundsätzlich auszeichnet, ist ihre chronologische Anordung. Man muss sich darüber klar sein, dass es sich um eine gewaltige Masse an Büchern handelt, »es sind ihrer Legionen«, sie sind zahllos, und wir treffen lediglich eine repräsentative Auswahl, in dem Glauben, dass eben diese, wie die Statistiken zu sagen pflegen, ein ausreichend klares Bild ergibt. Welches Thema man auch nimmt, über das wir in diesem Stil schreiben, das heißt, dass wir uns in jedem Band neben der Beschreibung der Bücher umsolche Angaben bemühenwie Urheberschaft, Verlag, Schicksal des Verlegers, zuweilen noch erweitert um Autographe, Besitzervermerke und Ähnliches, uns ist sehr wohl bewusst, dass die Zahl dieser Bücher noch um ein Vielfaches größer sein mag. Doch nicht Vollständigkeit ist unsere Aufgabe. Eine derartige Aufgabe haben wir uns nicht gestellt. Wir haben uns eine aufklärerische Aufgabe gestellt, im Sinne des repräsentativen Charakters, damit die Menschen erkennen, was sich am Geschehen im Land verändert hat, welche Kollisionen das Erscheinen des einen oder anderen Buches begleitet haben und wie sich das Schicksal seiner Herausgeber vor dem Hintergrund der allgemeinen Geschichtedes Landes gestaltete.
Aktualisiert: 2021-01-03
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