Des Meisters Bartel verlorener Ring

Des Meisters Bartel verlorener Ring von Spyra,  Thomas
In der zwischen den Städten Nürnberg, Würzburg und Rothenburg gelegenen kleinen fränkischen ehemaligen freien Reichsstadt werden im Jahre 2ooo archäologische Ausgrabungen unternommen. Vor der Kulisse dieser noch original gut erhaltenen mittelalterlichen Altstadt wird ein kurzer Blick in die Familie des Andreas Christoph Bartel, aber auch in die politischen und menschlichen Zusammenhänge einer Kleinstadt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewährt. Die scheinbare Idylle der Handwerkerfamilie des angesehenen Zeugmacher- und Schneidermeisters Johann Georg Gümpelin wird durch ein Unglück jäh zerstört. Frau Anna Maria und ihre beiden Kinder müssen nach schweren Monaten den Mann und Vater zu Grabe tragen. Im darauf folgenden Jahr erscheint der Schneider Andreas Christoph Bartel vor dem Rat der Stadt Windsheim und möchte Bürger werden. Der aus Quedlinburg stammende Geselle hat auf der Walz in Nürnberg bei einem Schneidermeister einige Zeit gearbeitet und seine Gesellenjahre abgeschlossen. Dieser gab ihm den Rat, wenn er Meister werden und eine eigene Werkstatt haben möchte, sollte er es doch einmal in der Stadt im oberen Aischtal versuchen. Da die Stadtadministration von Windsheim aber eine hohe Bürgeraufnahmesteuer von ihm dafür forderte, stand er vor einem großen Problem. So viel hatte er sich in den letzten Jahren nicht zusammensparen können. Niedergeschlagen beschließt er am nächsten Tag weiter zu ziehen, um in Rothenburg, der nächstgelegenen freien Reichsstadt sein Glück erneut zu versuchen. Durch Zufall lernt er bei der Abreise die sechsjährige Lena kennen. Das Mädchen nimmt ihn mit nach Hause und stellt ihn ihrer Mutter vor. Beide, Andreas Christoph und Anna Maria, sind sich auf den ersten Blick sympathisch und beschließen eine Zweckehe einzugehen. Ohne große Schwierigkeiten kann sich der neue Schneidermeister in der Stadt einleben und wird zu einem angesehenen Bürger der Stadt Windsheim. Das Jahr 1730 ist für die Stadt ein großes Festjahr. Feiert man doch mit Stolz das 200-jährige Jubiläum der Unterzeichnung der Augsburger Konfession. Der Vertreter der Stadt Windsheim war mit unter den Bürgermeistern der ersten Reichsstädte, die das Bekenntnis zum evangelischen Glauben unterzeichneten. Dies war nicht immer von Vorteil für die kleine Stadt, wurde man doch oft zum Spielball für die durchziehenden Heere. Wobei es gleichgültig war, ob die befreundeten Schweden unter Gustav Adolf oder die Katholischen unter Tilly und Wallenstein die Stadt belagerten. Nun aber will man feiern und die Bürgerschaft kann es sich auch wieder leisten. Von dem finanziellen Ruin und der Dezimierung der Bevölkerung auf ein Viertel der ursprünglichen Einwohneranzahl vor dem 30-jährigen Krieg hat sich die Stadt wieder erholt. Die großen Bauten von Residenzen, Schlössern und Herrschaftshäusern in der Umgebung bringen Reichtum für die Stadt. Besitzt man doch viele Gipsgruben und Gips ist ein begehrter Baustoff im Barock. Umso größer ist der Schreck am Jahresende. Eine gewaltige Feuersbrunst sucht die Stadt in der Nacht zum ersten Advent heim. Ausgehend vom Spital breitet sich das Feuer schnell aus. Das vor einigen Jahren neu erbaute Rathaus, die renovierte Stadtkirche und vierzehn Bürgerhäuser und viele Nebengebäude fallen dem Brand zum Opfer. Bis nach Nürnberg und Rothenburg soll man den Feuerschein gesehen haben. Bartel´s haben Glück, viel Glück sogar. Ihr Haus wird vom Feuer verschont und in dieser Nacht wird sogar das erste gemeinsame Kind von Christoph und Anna Maria geboren. Allerdings hatte der Meister seinen Siegelring in der Hektik der Löscharbeiten verloren. Alles Suchen danach war umsonst. Der Rat der befreundeten Stadt Nürnberg sendet den berühmten Kupferstecher Johann Adam Delsenbach nach Windsheim. Er fertigt Schadensbilder an, die dann zusammen mit einer Bittschrift im ganzen Deutschen Reich versandt werden. Die Solidarität mit der gebeutelten Stadt ist riesengroß. Von überall her treffen nach und nach Hilfsgelder ein, sodass nach bereits kurzer Zeit wieder mit dem Aufbau begonnen werden kann. Meister Bartel, der zusammen mit Tochter Lena seinen Freund Delsenbach zurück nach Nürnberg begleitet hatte, hört in der großen Reichsstadt Nürnberg das erste Mal etwas von den Gedanken der Aufklärung. Die in den Wirtshäusern kursierenden Traktate und Schriften verschlingt er förmlich. Besonders die Ideen von der Freiheit und Gleichheit aller Menschen begeistern ihn. Nach der Rückfahrt mit einigen Hindernissen predigt er bei allen Gelegenheiten, meistens aber im Wirtshaus, die Lehren von Gottsched, Hegel und den anderen Schriftstellern und Philosophen der Aufklärung. Schwer schlägt das Schicksal zu. Erst stirbt der jüngste Sohn am Sumpffieber, dann pressen die Fänger der Anwerbetrupps des hessischen Landgrafen Wilhelm VIII. den Stiefsohn zu den Soldaten. An den König von England wird er mit vielen Tausend Anderen „verkauft“. Gegen die Franzosen in Amerika sollen sie kämpfen. Anna Maria fällt in eine tiefe Depressionen. Als dann Lena zusammen mir ihrer Freundin Helena Delsenbach auch noch in Nürnberg eine höhere Mädchenschule besuchen möchte, kann Christoph sie nur schwer überzeugen das Mädchen ziehen zu lassen. Immer schwieriger wird das Leben der Familie Bartel in Windsheim. Mit seinen aufrührerischen Reden eckt Christoph Bartel bei vielen Freunden, der Zunft und vor allem bei den Stadtoberen an. Ihm gehe es doch gut, er solle doch endlich aufhören damit. Aber er hört nicht auf. Lena kehrt nach Beendigung ihrer Schule nach Windsheim zurück. Auf der Heimfahrt fällt sie im Schußbachwald Räubern in die Hände und nur mit viel Glück und durch Zahlung einer großen Summe Lösegeld kann der Schneidermeister seine Tochter heimholen. Das Mädchen hat sich in Nürnberg in den Advokaten Sebastian Knörr verliebt. Knörr stammt genau wie sie aus Windsheim. Er gehört zu einer der reichsten und angesehensten Familien ihrer Heimatstadt und hat seine Berufung in den Inneren Rat von Windsheim erhalten. Trotz gesellschaftlicher Bedenken hält er dann eines Tages um die Hand der Schneidertochter an. Diese Heirat und der Stellung seines Schwiegersohnes hat es Andreas Christoph Bartel zu verdanken, dass er nach erneuten Hetzreden gegen die Obrigkeit mit einem „blauen Auge“ davonkommt. Der Rat enthebt ihn aber aller seiner Ehrenposten und untersagt ihm die Ausübung seines Berufes. Nach Zahlung einer hohen Strafe darf er noch in der Stadt bleiben, aber ihm wird jegliches öffentliche Reden verboten. Innerhalb von zehn Jahren hatte es der Zeug- und Schneidermeister Andreas Christoph Bartel zu hohem Ansehen und zu tiefem Fall gebracht. Wie soll es bloß weiter gehen?
Aktualisiert: 2022-11-15
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