Wildtiere dienen einer Vielzahl bakterieller, parasitärer und viraler Infektionserreger als Reservoir und Vektoren und stellen somit eine Gefahr für Menschen und deren Haus-, Nutz- und Zootiere dar. Im Wandel befindliche Umweltbedingungen beeinflussen kontinuierlich die globalen epidemiologischen Gegebenheiten und erfordern das Sammeln Regionen-spezifischer Daten für eine risikobasierte Bekämpfung von Seuchen- und Zoonoseerregern im Rahmen eines ganzheitlichen Gesundheitsschutzes. Bei einem landesweiten Monitoring in Thüringen wurden von Januar 2014 bis März 2016 Vorkommen und Verteilung von Canine morbillivirus (CDV) und den Zoonoseerregern Rabies lyssavirus (RABV) und Trichinella spp. bei Wildkarnivoren, Echinococcus (E.) multilocularis bei Wildkaniden, Baylisascaris (B.) procyonis bei Waschbären und Mycobacterium (M.) bovis bei Dachsen beobachtet. Im Zuge der Untersuchungen auf CDV wurde zusätzlich die virale Distribution in ausgewählten Organen infizierter Tiere beurteilt, um eine Empfehlung bzgl. der Probenauswahl für die molekularbiologische Routinediagnostik ableiten zu können. Als Untersuchungsmaterial dienten 1230 Tierkörper von 936 Rotfüchsen (Vulpes vulpes), 195 Waschbären (Procyon lotor), 54 Europäischen Dachsen (Meles meles), 39 Steinmardern (Martes foina), 4 Marderhunden (Nyctereutes procyonoides), einem Europäischen Iltis (Mustela putorius) und einem Hermelin (Mustela erminea), die aus allen siebzehn Landkreisen und sechs kreisfreien Städten des Freistaats ans Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz gesendet wurden.
Die Untersuchungen zum Nachweis des Erregers der Staupe, einer der bedeutendsten Infektionskrankheiten der Karnivoren weltweit, wurden nach automatisierter, magnetic bead-basierter Nukleinsäureextraktion mittels CDV-spezifischer Reverse Transkriptase-quantitative Polymerase-Kettenreaktion (RT-qPCR) durchgeführt. Es konnte eine zweijährige CDV-Periodenprävalenz2014/2015 von 21,6 % (95 %-Konfidenzintervall (KI): 19,2 – 24,3 %) ermittelt werden. Zwischen beiden vollen Untersuchungsjahren bestand kein signifikanter Unterschied in der CDV-Nachweisrate, die, über das Jahr hinweg betrachtet, einen wellenförmigen Verlauf zeigte, mit peaks signifikant erhöhter Prävalenz im Frühjahr. Auf Landkreisebene konnten, bei einem Median von 22,2 %, sich erheblich unterscheidende Prävalenzen von 8,3 – 52,4 % gemessen werden, wobei die Wahrscheinlichkeit eines CDV-Nachweises im Osten Thüringens gegenüber den anderen Regionen signifikant erhöht war. Zusätzlich konnte bei der räumlichen Betrachtung, ab einer Bevölkerungszahl von mehr als 50 000 Einwohnern, ein Urbanisierungseffekt erhöhter CDV-Prävalenz demonstriert werden. Höhere wildkarnivore Populationsdichten in den Städten, im Vergleich zu ruralen Habitaten, führen zu gesteigerten, artübergreifenden urbanen Transmissionsraten. Getragen von den weit verbreiteten Rotfüchsen, entfielen insgesamt 90,0 % aller detektierten Staupefälle auf kanide Wildkarnivoren, die mit 26,8 % (95 %-KI: 24,9 – 29,8 %) die signifikant höchste Nachweisrate aufwiesen. Darüber hinaus wurde der Erreger in 17 Waschbären (95 %-KI der Periodenprävalenz unter Kleinbären: 5,2 – 13,6 %), neun Dachsen und zwei Steinmardern (95 %-KI der Periodenprävalenz unter Musteliden: 6,0 – 20,0 %) gefunden. Während die Merkmale Alter, Geschlecht und Endoparasitenbefall keine Prädisposition für den CDV-Nachweis darstellten, konnten signifikant erhöhte Nachweisraten in schlecht genährten, verhaltensauffälligen und verendeten Tieren gemessen werden. Unter den Staupefällen konnten insbesondere respiratorische, zentralnervöse und intestinale Verläufe einschließlich Mischformen festgestellt werden, kutane Formen der Erkrankung waren von untergeordneter Bedeutung. Staupekranke Wildtiere zeigten ein erhöhtes Potential in Kontakt zu Menschen, Haustieren oder Wohnraum zu treten und steigern somit die Expositionsgefahr. Aufgrund der enzootischen Seuchenlage, artübergreifender Transmissionsketten und dem vermehrten Auftreten von Staupe in urbanen Gebieten, ist an der Schutzimpfung für empfängliche Tiere in menschlicher Obhut unbedingt festzuhalten.
Für den molekularbiologischen Virusnachweis zeigten sich lymphatische Organe besonders geeignet. Aufgrund der komplexen Pathogenese der Staupe und der Vielfalt möglicher Verläufe, stellt die Reduzierung auf einzelne Organe in der CDV-Diagnostik einen möglichen Sensitivitätsverlust dar. Die parallele Untersuchung von Kleinhirn, einem respiratorisch-epithelialen Organpool aus Lid und Lunge sowie einem intestinal-lymphatischen Pool aus Lymphonodi jejunales und Ileum mit Peyer’schen Platten in der RT-qPCR gewährleistet einen sicheren Staupevirus-Genomnachweis unter der Berücksichtigung möglichen Einsparpotentials.
Die Untersuchungen zum Nachweis der Zoonosen Tollwut, Tuberkulose und Trichinellose verliefen mit negativem Ergebnis. Thüringen bleibt damit gemäß den Kriterien der Weltorganisation für Tiergesundheit offiziell frei von terrestrischer Tollwut. Weiterhin stellen Dachse, anders als in anderen Teilen Europas, kein M. bovis-Reservoir dar und Trichinella spp. scheinen als Krankheitserreger für heimische Wildkarnivoren von untergeordneter Bedeutung zu sein.
Der kleine Fuchsbandwurm E. multilocularis und der Waschbärspulwurm B. procyonis, die gut an ihre jeweiligen Endwirte adaptiert sind, aber im Fehlzwischenwirt Mensch zu den lebensbedrohlichen Krankheiten Alveoläre Echinokokkose (AE) bzw. im Falle der Baylisascariose zu viszeraler, neuraler oder okulärer Larva migrans führen können, sind dagegen in Thüringen hochprävalent vertreten. So konnten zweijährige Periodenprävalenzen2014/2015 von 43,9 % (95 %-KI: 40,3 – 47,5 %) für E. multilocularis und 44,4 % (95 %-KI: 36,5 – 52,4 %) für B. procyonis gemessen werden. Für beide Erreger wurde eine Saisonalität mit den signifikant höchsten Nachweisraten im Herbst festgestellt, sowie ein geringeres Vorkommen in den Städten. Während das zoonotische Potential von B. procyonis noch Fragen aufwirft, scheint die AE in Thüringen auf dem Vormarsch zu sein.