Baukunst 10

Baukunst 10 von Copans,  Richard, Neumann,  Stan
Herausragende Bauwerke aus allen Jahrhunderten - vom Fundament bis zum First. Porträts der Architekten und ihrer visionären Konzepte wecken Begeisterung für die beeindruckende Welt der Architektur rund um den Globus. Sechs weitere Bauwerke, große Architekten, zahlreiche Pläne und 3D-Animationen: Der Flughafen Roissy 1 wurde zwischen 1969 und 1974 von dem noch jungen Architekten Paul Andreu erbaut. Imposante Architektur und die prächtige Innenausstattung zeugen beim Hôtel de Rohan und beim Hôtel de Soubise in Paris von der ungezügelten Ambition der Fürsten von Soubise zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Das zwischen 2011 und 2013 erbaute Gästehaus von Wa Shan ist eine architektonische Verbeugung vor der traditionellen chinesischen Malerei. Die visuell streng gehaltene Bibliothek VON Exeter von Louis I. Kahn ist in einer Umgebung von neo-georgianischer Gebäuden eingelbettet. Ebenso wie das Brüsseler HAUS AUS EISEN – das Van Eetvelde-Haus von Victor Horta in der Art Nouveau Bewegung. Und das HAUS FÜR ALLE von Rikuzentakata, ein neues Gemeindezemtrum für das von Tsunami und Erdbeben heimgesuchte japanische Küstenstädtchen - mit dem Goldenen Löwen der Architektur Biennale ausgezeichnet. Jede Folge der Dokumentationsreihe widmet sich einem Prototyp der architektonischen Moderne. Das jeweilige Bauwerk wird unter technischen, ästhetischen, aber auch ökonomischen Gesichtspunkten analysiert. Außerdem zeigen die Filme, wie sich die einzelnen Gebäude in ihre Umgebung einfügen. Modelle verdeutlichen Planungsetappen und Raumorganisation und vermitteln so die Einsicht, dass "die Großartigkeit der Architektur in Einfachheit und Klarheit liegt". Mit den Folgen: Das Gästehaus von Wa Shan Der Flughafen Roissy 1 Die Bibliothek von Exeter von Louis I. Kahn Das Haus für alle von Rikuzentakata   Das Haus aus Eisen von Victor Horta Pariser Stadtpaläste: Hôtel de Soubise und Hôtel de Rohan Das Gästehaus von Wa Shan Ein Film von Juliette Garcias Das Gästehaus von Wa Shan wurde zwischen 2011 und 2013 von dem chinesischen Architekten Wang Shu erbaut. Zwischen 2011 und 2013 erbaute der chinesische Architekt Wang Shu ein Gästehaus auf dem Campus einer der angesehensten Kunsthochschulen des Landes, rund 200 Kilometer südlich von Shanghai. Reizvoll in eine Berg- und Wasserlandschaft eingebettet, schlängelt sich das „Wa Shan“ entlang eines Flusses und verschwindet stellenweise hinter der üppig wuchernden Vegetation. Unverkennbar ist der Bezug des Architekten zur traditionellen chinesischen Malerei und zu den Gärten der gebildeten Schicht im alten China. Außerdem ist das Gebäude ein gelungenes Beispiel für nachhaltiges und umweltfreundliches Bauen, das Tradition und Moderne verbindet. In Hangzhou, der Hauptstadt der chinesischen Provinz Zhejiang, steht ein Gästehaus der besonderen Art: das „Wa Shan“ – was wörtlich so viel bedeutet wie „Berg aus Ziegeln“. Das Haus wurde zwischen 2011 und 2013 auf dem Campus der angesehensten Kunsthochschule des Landes errichtet. Sein Architekt ist der Chinese Wang Shu, Jahrgang 1963, der selbst dort lehrt. In Hangzhou, der jahrtausendealten Kulturhauptstadt Chinas, vollzieht sich seit geraumer Zeit eine rasante Entwicklung: Innerhalb von weniger als 30 Jahren verlor die Stadt 90 Prozent ihrer traditionellen Wohngebäude. Diese radikale Verwandlung der Stadtlandschaft entspricht dem rasanten kapitalistischen Wandel des Landes. Mit seiner Arbeit will der umwelt- und traditionsbewusste Architekt ein Gegenmodell zur fortschreitenden Globalisierung schaffen. Er engagiert sich sehr auf dem Gebiet des nachhaltigen Bauens. Dabei verbindet er moderne und überlieferte Bauweisen, insbesondere solche, die historisch vor Ort gewachsen sind. Für seine experimentelle Praxis und seine Werke wurde er 2012 mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet. Wang Shu lädt den Besucher mit seinem Gästehaus zu einer Erkundungstour ein, bei der Innen- und Außenwelt, Landschaft und Gebäude, harmonisch miteinander verschmelzen. Auf dem Weg durch die kleinen labyrinthischen Räume ergeben sich ständig neue Aus- und Einblicke. Die Raumerlebnisse gleichen denen, die durch die traditionellen Kulturlandschaften auf den chinesischen Tuscherollbildern vermittelt werden. Wang Shu ist ein begnadeter Szenograph. Darüber setzt er sich in seinem Kampf um die Nachhaltigkeit dafür ein, Ziegel und anderem Bauschutt zu verwenden, den er aus abgerissenen traditionellen Häusern der Provinz rettet. So wurde das „Wa Shan“ aus recyceltem Material und aus Stampflehm gebaut – eine wahre Provokation in einer Stadt, die rücksichtslos zubetoniert wird. Roissy 1 Der Flughafen Roissy 1 wurde zwischen 1969 und 1974 von dem noch jungen Architekten Paul Andreu erbaut. Da sich der Flugverkehr Mitte der 60er Jahre verdoppelt hatte, beschloss der französische Staat den Bau eines neuen Flughafens nördlich von Paris. Es sollten vier Kilometer Pisten und eine stadtähnliche Infrastruktur entstehen. Das Terminal 1 des größten französischen Flughafens Roissy-Charles-de-Gaulle im Norden von Paris verkörperte lange die Bestrebungen der modernen Architektur. Als 1967 die Planung begann, setzte der Massentourismus ein, und von Krise war keine Rede. Man glaubte an den Fortschritt und träumte von Geschwindigkeit. Während zuvor beim Bau von Flughafengebäuden funktionale Kriterien im Mittelpunkt standen, die vor allen Dingen Aufgabe von Ingenieuren waren, traten nun architektonisch-ästhetische Aspekte in den Vordergrund. Man begann sich weniger für die Flugzeuge, als für Schönheit und Kühnheit des Bauwerks zu interessieren. Diese Revolution ist vor allem dem Architekten Paul Andreu, geboren 1938, zu verdanken. Im Zentrum des Flughafens Roissy 1 steht ein fensterloser Betonring von 200 Metern Durchmesser, den ein Lichtschacht durchdringt. Er dient der Orientierung und steuert wie in einer Art Kreisverkehr die Passagierströme. Die Flugzeuge gruppieren sich um mehrere Satelliten, die rings um das Terminal herum angelegt sind. „Die Flughafenanlage funktioniert wie eine Art Kreislauf, beim Herz würde man von der Pumpe sprechen“, erklärt Andreu. Und noch heute befindet sich der Flughafen - inzwischen um Roissy 2 ergänzt – weiter in Entwicklung. Roissy 1 war Andreus erste Arbeit, die in der Geschichte des Flughafenbaus auch die Grenzen der geschlossenen Form aufgezeigt hat. Inzwischen verzichten Architekten auf starre Strukturen. Auf Roissy 1 folgten rund 50 Großflughafengebäude in der ganzen Welt. Andreu wurde so zu einem der bedeutendsten Flughafenarchitekten des 20. Jahrhunderts. Hoffnung nach der Katastrophe - Das "Haus für alle" in Rikuzentakata Ein Film von Richard Copans Im Jahr 2012 wurde im japanischen Küstenstädtchen Rikuzentakata ein Gemeindehaus eingeweiht, das auf Initiative von Architekten als „Minna no ie“ (Haus für alle) entstanden ist. Das Gebäude ist Teil einer Serie partizipatorisch entwickelter Bauten, die den Bewohnern der durch Tsunami und Erdbeben verwüsteten Tohoku-Region als Gemeinschaftseinrichtungen und Begegnungsstätten dienen sollen. Das Projekt, das in nur fünf Monaten realisiert wurde, erhielt auf der Biennale in Venedig 2012 den Goldenen Löwen. Ein Beispiel für Hilfsbereitschaft und Solidarität nach verheerenden Naturereignissen, oder – wie der Filmtitel besagt – für „Hoffnung nach der Katastrophe“. Nach dem Erdbeben in Japan im März 2011 rief ein Architektenkollektiv unter der Leitung von Toyo Ito das Projekt „Ein Haus für alle“ ins Leben, das es sich zum Ziel setzte, Gemeinschaftseinrichtungen und Begegnungsstätten für die Einwohner der zerstörten Städte zu schaffen. Die drei jungen Architekten Sou Fujimoto, Kumiko Inui und Akihisa Hirata bauten ein solches Haus in der Küstenstadt Rikuzentakata, die von dem Tsunami im Anschluss an das Erdbeben besonders schwer betroffen war. Sie schufen ein Gebäude mit Spitzdach und säulenartig in den Himmel aufragenden Baumstämmen aus dem zerstörten Wald. Die Tragglieder wirken wie archaische Säulen und erinnern an die monumentalen Holzpfeiler japanischer Shinto-Schreine. Die Außenmauern werden von einer Treppen- bzw. Terrassenanlage spiralförmig umfangen. Der Bau gibt den Blick auf die vernichtete Stadt frei, von der wenig mehr als das Straßenraster erhalten ist. Das Haus wurde in sechs Monaten entworfen und in fünf Monaten gebaut. Das Projekt, das bei der Architekturbiennale 2012 in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, ist ein Beispiel für Hilfsbereitschaft und Solidarität nach verheerenden Naturereignissen, oder – wie der Filmtitel besagt – für „Hoffnung nach der Katastrophe“. Das Haus aus Eisen – das Van Eetvelde-Haus von Victor Horta Ende des letzten Jahrhunderts war Brüssel ein Jahrzehnt lang die Hauptstadt der modernen Architektur. Die Art Nouveau- oder Jugendstil-Bewegung, die mit der Nachahmung historischer Stile brach, schaffte die Grundlagen für eine neue Auffassung von der Architektur und der Rolle des Architekten. Victor Horta galt als ihr Meister. Dem Wohnhaus, das er zwischen 1895 und 1897 für Edmond Van Eetvelde baute, liegt ein in mehrfacher Hinsicht origineller Entwurf zugrunde. Es ist weniger luxuriös und beeindruckend als frühere Bauwerke von Victor Horta, wie etwa das Solvay-Haus oder das heute abgerissene „Volkshaus“ („Maison du Peuple“). Dafür bringt es am entschiedensten die Modernität seines Schöpfers zum Ausdruck. Horta wagte es als Erster, für ein privates Wohnhaus eine Eisenkonstruktion zu verwenden, die bis dahin Bahnhöfen, Gewächshäusern oder Industriebauten vorbehalten war. Dadurch entstand eine Fassade, die die durchsichtigen Fassaden zeitgenössischer Gebäude vorwegnahm. Ganz Künstler geht es Horta nie nur um praktische und zweckrationale Lösungen. So auch beim Lichthof, der das Zentrum des Hauses bildet und in dem seine Funktionen in genialer Weise zusammenlaufen. Er ist als glasüberdachter Wintergarten gestaltet, um den herum kaleidoskopartig die Festräume angeordnet sind. An ihm kann man am besten die Vielfalt der Parameter sehen, die der Architekt in seine Entwürfe hat einfließen lassen: Horta gelingt es, unter einem Dach Luxus und Fantasie, Zweckrationalität und Komfort zu vereinigen. Jenseits der landläufigen Auffassung vom Jugendstil erweist sich das Van Eetvelde-Haus somit als ein Gebäude, das bereits am Ende des 19. Jahrhunderts Zeichen der Überlegungen und Bestrebungen zeitgenössischer Architektur in sich trägt. Die Pariser Stadtpaläste: Hôtel de Soubise und Hôtel de Rohan Mit ihrer imposanten Architektur und prächtigen Innenausstattung zeugen das Hôtel de Rohan in Straßburg und das Hôtel de Soubise in Paris von der ungezügelten Ambition der Fürsten von Soubise, die bei der Errichtung der beiden Stadtpaläste ihrem Größenwahn freien Lauf ließen. Anfang des 16. Jahrhunderts kaufte der erste Fürst von Soubise der Herzogsfamilie Guise das Hôtel de Clisson ab und baute es zum Hôtel de Soubise um. Gleichzeitig ließ er einen zweiten Stadtpalast für seinen fünften Sohn, den Fürstbischof von Straßburg, errichten: das Hôtel de Rohan. Zu den architektonischen Extravaganzen, die sich die Fürsten von Soubise im Laufe der Bauarbeiten einfallen ließen, gehören der kolonnadengesäumte Ehrenhof des Hôtel de Soubise und seine reich verzierte Fassade, das Steinrelief „Die Sonnenpferde“ über den Stalltoren und die von Germain Boffrand fantasievoll gestalteten Prinzessinnengemächer. Das so entstandene urbane Ensemble entspricht einerseits dem Modell des Pariser Stadthauses „zwischen Hof und Garten“, das die Architekten einfallsreich an die unregelmäßige Grundstücksfläche anpassten, und veranschaulicht andererseits die politische Bedeutung von Gebäuden für den französischen Adel des 18. Jahrhunderts.
Aktualisiert: 2020-02-26
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