Erstmals wird eine umfassende Dokumentation und Analyse von Hermann Löns´ wohl bis heute am meisten unterschätzten Romans „Dahinten in der Haide“, den er vom 7. - 21. Mai 1909 schrieb und der im Juli 1910 als Buch veröffentlicht wurde. präsentiert.
In keinem anderen Roman hat Löns sich selbst und das Wunschbild, das er von sich und seinem Leben hatte, so offen und detailliert dargestellt wie hier in der Figur des Dr. Lüder Volkmann, der auf den Hof seiner Vorfahren in Riethagen südlich von Walsrode zurückkehrt.
Die von ihm seit Jahren in Essays und Zeitungs-Feuilletons formulierte Gesellschaftskritik am „Konsumzeitalter“, an der „Asphaltkultur“ der Großstadt, an der Industrialisierung der Heide und der Verhunzung der Landschaft, Vorschläge zur Lebensreform eines naturgemäßen Lebensstils mit Konsumverzicht und Bescheidenheitsethos, aktivem Natur- und Landschaftsschutz, die Jagd als mögliches Mittel für den Großstädter, um zur Natur zurückzufinden (womit Löns sich jedoch irrte), sowie das bäuerliche Leben als utopischer Lebensentwurf auch für den Stadtbewohner, hat Löns erstmals umfassend in „Dahinten in der Haide“ belletristisch umgesetzt.
Zu Lebzeiten Löns´ war „Dahinten in der Haide“ mit einer Auflage von 14.000 Exemplaren sein meistverkaufter Roman und bis in die frühen 1920er Jahre zählte er immer noch zu den beliebtesten Titeln von ihm.
1936 wurde „Dahinten in der Heide“ unter dem Buchtitel recht verfremdend verfilmt, sowie 1917 und 1940 - 1942 als Feldausgabe für die Soldaten weit verbreitet, wenn der Roman auch vom NS-Regime nicht geschätzt wurde, und 1943 im Gegensatz zu anderen Löns-Titeln der kriegsbedingten Papierkontigentierung zum Opfer fiel.
1964 wurde der Roman bei einer Gesamtauflage von ca. 300.000 Exemplaren ein letzte Mal von seinem Ursprungsverlag Sponholtz herausgegeben und nach 1995 wird er nicht mehr im Verzeichnis lieferbarer Bücher aufgeführt und dürfte im 21. Jahrhundert sogar Löns-Freunden unbekannt geworden sein.
Löns selbst schätzte „Dahinten in der Haide“ als übereilt in Druck gegebenes „Siebenmonatskind“ nicht sehr, obwohl es ihn beim erneuten Lesen sogar zu Tränen rührte.
Rezensenten lobten den Roman in den 1920er Jahren hingegen als den „tiefempfundensten von Löns“, als „eine der sonnigsten Schöpfungen von Löns“ und als „das gesündeste Werk von Löns, dem noch eine bedeutende Wirkung zuzutrauen“ sei.
Denn Löns´ Sehnsucht nach einem naturgemäßen, genügsamen Leben auf dem Land sowie seine frühe Kritik an der Großstadt mit ihrer oberflächlichen Talmi- und Pseudokultur sowie der landschaftszerstörenden Ölindustrie bei Wietze in der Heide (Fracking), sind heute aktueller denn je, wobei der Roman immer noch durch seine erstaunliche Sprachkunst mit der gelungenen Integration bäuerlicher Redewendungen und tradierter Sinnsprüche besticht.
„Dahinten in der Haide“ ist zwar keine Blaupause für einen allgemein gültigen möglichen utopischen Lebensstil, sondern soll als Grüne Utopie eher Mut machen und optimistisch stimmen, dass ein jeder es selbst in der Hand haben kann, sein Leben durch ein ökologisches Bewusstsein ganz individuell naturgemäß umzugestalten und durch eine genügsame und ganzheitliche Lebensführung glücklich zu werden. Löns´ indirekte Maxime des Romans ist denn auch: Lebensglück durch Konsumverzicht.
Aktualisiert: 2021-03-11
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Die einzige ganzheitliche Utopie der Lebensreformbewegung von 1907 ist ein Musterbeispiel der frühen deutschen Science Fiction.
Ein Roman für Alle, die die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Menschheit durch eine globale nachhaltige Entwicklung doch noch ihren Planeten für die kommenden Generationen retten wird, wozu einer Europas bedeutendster Lebensreformer um 1900, F. E. Bilz (1842 - 1922), dessen Naturheilkundebuch in einer Auflage von ca. 5 Millionen Exemplaren verbreitet wurde, schon 1907 gangbare Wege aufgezeigt hat.
Und:
Ein Roman für Alle, die die klassische deutsche Science Fiction lieben mit Antigravitations-Flugmaschinen und telekinetisch begabten Marsmenschen, die die Erdschwere aufheben können und ohne Raumschiffe körperlos interplanetarisch reisen, um sich dann auf anderen Planeten wieder zu rematerialisieren, und die die Menschheit in einer "intellektuellen Invasion" im Jahre 2048 zu einer naturgemäßen Lebensweise führen.
Im Jahr 2048 haben sich die europäischen Staaten mit den USA zu einem Friedensbund zusammengeschlossen, alle Menschen sind gleichgestellt, finden einen Lebensabschnittspartner auf Heiratsmärkten, arbeiten nur noch täglich 3 Stunden und haben ein ausreichendes Grundeinkommen. Tiere sind gesetzlich geschützt und die Ernährung ist ausschließlich vegetarisch. Es gibt eine einheitliche Weltsprache und -schrift und nur noch eine Weltreligion. Man geht stets barfuß und leichtbekleidet und wird dank einer naturgemäßen Lebensweise und einer praktizierten Naturheilkunde durchschnittlich 100 Jahre alt.
Das Wetter kann manipuliert werden, die Sahara wurde bewässert und ist eine Seenlandschaft, Eisenbahnlinien führen in Unterwasser-Tunneln vom Kontinent zu England und durch den Atlantik zu den USA.
Doch erst der telegraphische Kontakt mit den Marsianern führt dank deren Errungenschaften zu einer nachhaltigen Umgestaltung der Erdgesellschaft mit einem Schutz der Wälder und der Reinhaltung der Luft, sodass eine neues Verkehrszeitalter mit Antigravitations-Flugmaschinen und eine „kohlenlose Zeit“ anbricht, regenerative Energien wie die Wasser- und Windkraft genutzt werden und die bereits auf dem Mars verwirklichten Sonnen- und Gezeitenkraftwerke auch auf der Erde zu einer Elektrifizierung der Welt führen und sich die Menschheit in einem Weltstaatenbund zusammenschließt.
Bilz setzt in seinem Roman konsequent die Überzeugung aus seinem Sachbuch "Der Zukunftsstaat" von 1904 belletristisch um: „Die Menschen müssen unter Vormundschaft gestellt werden. Wenn die gegenwärtige Generation nun einmal noch nicht fähig ist, sich auf allen Gebieten vernünftig und naturgemäß einzurichten, so muß sie einfach unter Vormundschaft gestellt werden, bis sie das Naturgemäße, das vernünftige Denken und Handeln, gelernt hat.“
Auch Bilz´ nun mehr als 110 Jahre alte Botschaft ist dabei eindeutig: „Wer sich von der Natur entfremdet, hat keine Zukunft.“
Bilz hat 1907 die erste ökologische und einzige ganzheitliche Utopie der Lebensreform verfasst, da er nicht nur die großen Strömungen der Lebensreformbewegung um 1900, so Naturheilkunde, die Ernährungsreform (einschließlich des Vegetarismus und der Antialkoholbewegung), die Freikörperkultur und die Siedlungsbewegung, sondern auch die Reformpädagogik und die Sexual-, Kleidungs- und Wohnungsreform hat er in seinem Roman sämtlich ausführlich dargestellt und belletristisch umgesetzt, womit dieser auch heute noch als ein bedeutendes zeitgeschichtliches Dokument zumindest in der auf den utopischen Teil begrenzten, vorliegenden Ausgabe sehr lesenswert, von bleibendem Wert und aktueller denn je ist.
Aktualisiert: 2022-01-05
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