Wie kaum eine Epoche vorher hat die Industrialisierung die Menschheit so schnell und so radikal geprägt. Nicht nur
die Menschen, mithin der gesamte Lebensraum wurden umgeändert, überformt, neu geschaffen. Dies, so mag man
glauben, haben Menschen seit ihrer Entstehung immer getan, nicht nur sich dem Lebensraum, sondern den umgebenden
Lebensraum sich anzupassen – doch selten vorher mit dieser Intensität und in dieser Geschwindigkeit, denn
der Beginn der Industrialisierung ist kaum 250 Jahre her. Heute wird schon von der Postindustrialiserung gesprochen,
doch noch immer prägen Fabriken, das Synonym für Industrie schlechthin, unsere Städte, Dörfer und Landschaften.
Sachsen, besonders Westsachsen, das Erzgebirge eingeschlossen, gehört zu den ältesten und dichtesten industriegeprägten Landschaften in Europa. Beginnend mit dem mittelalterlichen Bergbau, die Ausprägung spezieller handwerklicher und manufakturbasierter Produktionszweige, den sich daran anschließenden Folgegewerben bis hin zur Industrialisierung wurde die Landschaft in vielfältiger Hinsicht beeinflusst, stark verändert, bisweilen sogar neu gestaltet.
Dieser Aspekt schlägt sich auch in der bildenden Kunst nieder. Die signifikanten Zeugnisse von Produktions- und
Industriestätten wurden in Malerei, Grafik und Zeichnung aus den unterschiedlichsten Motivationen heraus zu einem
bildkünstlerischen Thema und Motiv. Halden, Fabriken, Schornsteine, technische Anlagen wie Talsperren, Pumpspeicherwerke, Brücken oder andere Verkehrsinfrastruktur oder die typischen „Industriedörfer“ boten den bildenden
Künstlern ein unkonventionelles und reizvolles Formenrepertoire im Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit der regionalen
Landschaft. Dies konnte einerseits eher dokumentarischen Charakter haben, der auch vom Stolz der Eigentümer
und ihrer wirtschaftlichen Kraft und Bedeutung künden sollte. Andererseits schwangen auch schon immer kritische
Töne hinsichtlich einer unübersehbaren Landschafts- und Naturzerstörung mit.
Der Katalog entstand zur Sonderschau "Industrielandschaft", die als Gemeinschaftsprojekt des Bergbaumuseums Oelsnitz/Erzgebirge und der Sammlung Erzgebirgische Landschaftskunst erarbeitete wurde. Er wendet sich erstmals mit einer umfangreichen Auswahl dieser Thematik zu. Der Katalog stellt mit seinen beiden Kapiteln mit Textbeiträgen und Abbildungsteilen zunächst das Gebiet Westsachsen in den Fokus, dem die Erzgebirgsregion folgt. Damit nimmt er die thematische Gliederung der Ausstellung auf, die im Bergbaumuseum Oelsnitz das erstere Gebiet, auf Schloss Schlettau das zweite zeigte.
Die vorgestellten Werke schlagen einen zeitlichen Bogen von der Mitte des 19. bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts. Anfangs orientierten die Arbeiten noch stark auf eine möglichst realistische Wiedergabe, wobei idealisierte
oder auch übertriebene Darstellungen durchaus üblich waren. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts kamen immer mehr
individuelle künstlerische Handschriften hinzu. Das Thema wurde zunehmend aus ganz unterschiedlichen Perspektiven
heraus angegangen. Standen für die einen die gravierenden Veränderungen der Landschaft durch die sich ausbreitenden
Industrieanlagen im Vordergrund, näherten sich andere beispielsweise über die soziale Situation der Berg- und
Fabrikarbeiter an diesen Motivkreis an. Für eine Reihe von Künstlern wurden auch die gewaltigen Dimensionen und
Ausmaße der Fabriken und Industriekomplexe zum Bildgegenstand. Ebenso gingen von den speziellen Beleuchtungs- und
Lichterscheinungen Ansatzpunkte für die künstlerische Arbeit aus.
Unterschiedliche Künstlergenerationen, ein breites Spektrum an Stilen und künstlerischen Techniken ergeben ein vielfältiges
künstlerisches Bild westsächsischer Industriegeschichte. Ausstellung und Katalog laden dazu ein, dieser Vielfalt
nachzugehen.
Aktualisiert: 2020-02-24
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Martha Schrag war eine der bedeutendsten Malerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts in Chemnitz, mit deren Ehrenbürgerschaft sie 1950 geehrt wurde. Zeitlebens hielt sie am Lebensmittelpunkt ihrer Heimatstadt fest. Trotz dieser Bindung war schon die junge Martha Schrag intensiv bestrebt, sich an aktuellen Strömungen der Kunst zu orientieren. Sie knüpfte bereits vor 1910 Kontakte nach Berlin und Dresden; München folgte kurz danach.
Die von gesellschaftlichen Brüchen und persönlichen Schicksalsschlägen gekennzeichneten wechselvollen Jahren haben zur Ausformung ihres Werkes intensiv beigetragen. In permanenter Auseinandersetzung mit zeitgemäßen Strömungen der bildenden Kunst fand Martha Schrag zu einem persönlichen Stil, der ihre Arbeiten unverwechselbar machten. Sie ließ sich nicht vom Publikumsgeschmack beirren und kämpfte mit wenigen Gleichgesinnten gegen Widerstände in der Provinz unablässig an. Damit trug sie unzweifelhaft dazu bei, der Moderne in Chemnitz zur Anerkennung zu verhelfen.
Zu Virtuosität gelangte sie bei der Darstellung von Müttern mit Kindern, die in der deutschen Kunst ihresgleichen sucht. Dieses dominante Thema beherrscht ihr gesamtes Werk und die Kunst wird so zur Projektionsfläche eigener Sehnsucht. Sie erreichte dabei zugleich große Nähe zur epochalen Kunst der von ihr verehrten Käthe Kollwitz. Als eine der wenigen Frauen vermochte Martha Schrag der deutschen Kunst ihrer Zeit Impulse zu verleihen, die von tiefem Humanismus und ehrlichem Mitgefühl mit den Unterdrückten gekennzeichnet waren.
Ganz in diesem Sinne wurde die Monografie mit einem Werkverzeichnis der Gemälde von Ralf W. Müller erarbeitet, der bereits in seinem Buch „Künstlergruppe Chemnitz 1907-1932“ auf die Malerin aufmerksam machte.
Aktualisiert: 2020-02-11
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