EU‐Zugewanderte bei Jobcentern und Arbeitsagenturen – Herausforderungen und Potenziale beim Zugang zu Angeboten der Berliner Arbeitsverwaltung

EU‐Zugewanderte bei Jobcentern und Arbeitsagenturen – Herausforderungen und Potenziale beim Zugang zu Angeboten der Berliner Arbeitsverwaltung von Behrendt,  Max, Dubois,  Maëlle, Fabiańczyk,  Emilia, Komitowski,  Doritt, Kraußlach,  Marianne, Lefebvre,  Audrey, Pfeffer-Hoffmann,  Christian, Skwarek,  Agnieszka
In Berlin leben mehr als 284.000 Bürgerinnen und Bürger mit der Staatsangehörigkeit eines anderen EU‐Mitgliedstaates. Insbesondere in den letzten zehn Jahren hat die EU‐Binnenmigration nach Berlin stark zugenommen. Zusammen mit dem Zuzug von Drittstaatsangehörigen bildet sie eine der Hauptursachen für das Bevölkerungswachstum der Hauptstadt. Durch seine Anziehungskraft verfügt Berlin über einen großen Vorteil gegenüber anderen Regionen, da der Arbeitskräftemangel sich zu einem die Wirtschaftslage stark beeinflussenden Faktor entwickelt hat. Deutschlandweit sind inzwischen über 1,2 Millionen Stellen unbesetzt. Die Zuwanderung aus Europa wird zunehmend als Teil von Strategien zur Stärkung des Arbeitsmarktes erkannt. Sie trägt derzeit in deutlich größerem Maße zur Deckung von Arbeitskräftebedarfen bei, als das zuwandernde Fachkräfte aus Drittstaaten tun. Entsprechend steigt auch das Interesse bei Bund und Ländern, sich mit dem Thema EU‐Zuwanderung auseinanderzusetzen und Integrationssysteme zu verbessern. Dank des EU‐Freizügigkeitsrechtes können sich EU‐Zugewanderte in der Hauptstadt aufhalten, eine Arbeit suchen bzw. einer Arbeit nachgehen, ohne dafür ein Visum zu benötigen. Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass die Arbeitsmarktbeteiligung von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern im letzten Jahrzehnt deutlich gestiegen ist. Einem guten Teil der nach Berlin Zugezogenen gelingt demnach der Einstieg in den Berliner Arbeitsmarkt gut. Jedoch lassen die Daten auch erkennen: Nach wie vor ist die Arbeitslosenrate unter ihnen überdurchschnittlich hoch. Zudem ist der Anteil an Personen, deren Beschäftigung Prekaritätsmerkmale aufweist, ebenfalls erhöht (Dubois 2019). Daraus lässt sich schlussfolgern: Die Arbeitsmarktintegration von EU‐Bürgerinnen und EU‐Bürgern ist ein Thema, an dem verstärkt gearbeitet werden muss. In dieser Studie wird die Rolle von Einrichtungen der öffentlichen Arbeitsverwaltung im Zusammenhang mit der Heranführung von EU‐Zugwanderten an den Berliner Arbeitsmarkt ins Auge gefasst. Es existiert eine ganze Reihe an Angeboten von Jobcentern und Arbeitsagenturen, die diesem Zweck dienen. Gemeint sind damit zum einen Unterstützungsleistungen der aktiven Arbeitsmarktförderung, d. h. Beratung, Informationsvermittlung, Hilfeleistung bei der Suche nach geeigneten Arbeitsstellen und (Weiter‐)Bildungsangebote für Arbeitssuchende. Zum anderen zählen dazu auch finanzielle Leistungen, die in Phasen von Arbeitslosigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts beitragen. Erkenntnisleitend im gesamten Entstehungsprozess der Publikation war die Frage, welche Erfahrungen Unionsbürgerinnen und Unionsbürger in Berlin mit den Angeboten von Jobcentern und Arbeitsagenturen sammeln. Dabei interessierten sowohl die Chancen, die mit dem Zugang zu den genannten Angeboten einhergehen können, als auch die möglichen Barrieren, die bei dem Versuch entstehen können, die Angebote zu nutzen. Um ein möglichst umfängliches und vielschichtiges Bild von der Lage von EUBürgerinnen und EU‐Bürgern in Berlin zeichnen zu können, wurden dabei sowohl die Perspektiven von neuzugewanderten Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern als auch von Expertinnen und Experten aus der Beratung der Zielgruppe sowie von Mitarbeitenden der Berliner Arbeitsverwaltung eingefangen und berücksichtigt. In Kapitel I werden zunächst grundlegende Erkenntnisse zum soziodemografischen Profil nach Berlin zugewanderter EU‐Bürgerinnen und EU‐Bürger dargeboten. Dazu werden Angaben aus einer von Minor 2019 durchgeführten, breit angelegten Befragung unter Zugewanderten aus Bulgarien, Frankreich, Italien, Polen, Rumänien und Spanien ausgewertet. Dabei handelt es sich um die sechs EUMitgliedstaaten (Großbritannien herausgenommen), die am stärksten in der Berliner Bevölkerung vertreten sind. Die Umfrageergebnisse geben auch Aufschluss darüber, welche Gründe ausschlaggebend waren für die Entscheidung, nach Berlin zu ziehen und wie der Umzug vorbereitet wurde. Berücksichtigt wurden in der Auswertung der Befragung nur Antworten von Personen, die seit 2008 nach Berlin zugereist sind. Grund dafür ist der gewählte Fokus, der in dieser Untersuchung auf der Neuzuwanderung liegen soll – also dem Migrationsgeschehen, das sich zeitlich an den Ausbruch der Finanz‐ und Wirtschaftskrise 2008 anschloss. Um ein tiefgreifendes Verständnis dafür zu gewinnen, wie sich der Zugang von EU‐Zugewanderten zu den Angeboten von Jobcentern und Arbeitsagenturen gestaltet, muss zunächst geklärt werden, in welchem rechtlichen Rahmen dieser stattfindet. In Kapitel II wird daher ein Überblick darüber gegeben, welche Leistungen in Jobcentern oder Arbeitsagenturen beantragt werden können und welche rechtlichen Bestimmungen gelten. Wie häufig Unionsbürgerinnen und Unionsbürger Kontakt mit den Einrichtungen der Berliner Arbeitsverwaltung aufnehmen und welche Angebote sie wie oft in Anspruch nehmen, wird in Kapitel III aufgeschlüsselt. Dabei werden Unterschiede nach Nationalität, Alter, Geschlecht und Bildungsgrad offensichtlich. Nachdem geklärt ist, zu welchen Angeboten EU‐Bürgerinnen und EU‐Bürger unter welchen Voraussetzungen Zugang haben und wie oft sie von ihrem Anspruch Gebrauch machen, wird in Kapitel IV aufgezeigt, welche Chancen diesem Vorgang innewohnen. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, welche Faktoren aus Sicht der Neuzugewanderten dazu beitragen, dass der Kontakt mit einem Jobcenter oder einer Arbeitsagentur als positiv erlebt wird. Diese gut funktionierenden Aspekte können dabei als Ansatzpunkte für die Stärkung eines erfolgreichen Zugangs zu den Angeboten von Jobcentern und Arbeitsagenturen dienen. In Kapitel V werden Faktoren unter die Lupe genommen, die sich als Barrieren für den Zugang zu den benannten Angeboten erweisen. Diese werden auf drei Ebenen verortet: Erstens hat sich herauskristallisiert, dass Wissenslücken bei verschiedenen Akteursgruppen dazu führen, dass EU‐Zugewanderte nicht immer zu den Angeboten finden, auf die sie Anspruch hätten und die für ihren (Arbeitsmarkt‐)Integrationsprozess förderlich wären. Zweitens hat sich gezeigt, dass es bei dem Versuch der Kontaktaufnahme mit den Einrichtungen der öffentlichen Arbeitsverwaltung Hürden unterschiedlicher – organisatorischer, sprachlicher und einstellungsbedingter – Natur gibt. Schließlich existiert eine ganze Reihe von Hindernissen, die – auch wenn die Kontaktaufnahme erfolgreich war – den Zugang zu den passenden Leistungen erschweren können. Diese bewegen sich auf der Ebene des Austausches zwischen den Behördenmitarbeitenden und den neuzugewanderten Kundinnen und Kunden. Auf Basis der zusammengetragenen Erkenntnisse werden in Kapitel VI Handlungsempfehlungen ausgesprochen, die dazu beitragen können, den Zugang von EU‐Bürgerinnen und EU‐Bürgern in Berlin zu Angeboten der Jobcenter und Arbeitsagenturen zu erleichtern. Dabei werden mögliche Wege aufgezeigt, wie erstens der Wissensstand zu den Angeboten der öffentlichen Arbeitsverwaltung bei allen relevanten Beteiligten angehoben werden kann, zweitens die Kontaktaufnahme mit den Einrichtungen für die Zielgruppe erleichtert werden kann und drittens der konstruktive Austausch zwischen Mitarbeitenden der öffentlichen Arbeitsverwaltung und EU‐Bürgerinnen und EU‐Bürgern, die Interesse an ihren Angeboten haben, gefördert werden kann. Den Zugang von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern zu Angeboten der öffentlichen Arbeitsverwaltung zu verbessern, ist aus verschiedenen Gründen ein lohnenswertes Unterfangen. Für die Neuzugewanderten selber kann es zu einer Verbesserung ihrer Situation auf dem Arbeitsmarkt beitragen: Sie können verstärkt an diesem teilhaben und dabei unterstützt werden, eine qualifikationsadäquate Beschäftigung zu finden. Die Partizipation am Arbeitsmarkt ist ein zentraler Bestandteil der gesellschaftlichen Integration. Neben der finanziellen Absicherung kann sie wesentlich zur sozialen Einbindung und Persönlichkeitsentfaltung beitragen. All dies wiederum kann dazu führen, dass Zugewanderte eine langfristige Bleibeperspektive entwickeln. Zugleich ist eine solche, gefestigte Arbeitsmarktintegration auch für die Stadt Berlin von Vorteil. Die Bundeshauptstadt ist auf den Zuzug und Verbleib von Fachkräften aus dem (EU‐)Ausland angewiesen, um den bereits existierenden und vermutlich weiter zunehmenden Fachkräftebedarf zu decken. Jobcenter und Arbeitsagenturen können dabei eine wichtige Brückenfunktion erfüllen. Aufgrund des Freizügigkeitsrechtes besteht für in Berlin lebende EU‐Bürgerinnen und EU‐Bürger keine unmittelbare Notwendigkeit, mit einer staatlichen Einrichtung in Kontakt zu treten, sobald sie ihre Anmeldung im Bürgeramt vorgenommen haben. Suchen sie die Einrichtungen der öffentlichen Arbeitsverwaltung auf, so kann dies sie an staatliche Unterstützungsstrukturen heranführen und gleichzeitig eine höhere gesellschaftliche Integration mit sich bringen. Ziel dieser Publikation ist es, einen Beitrag zu einem Verständnis dafür zu leisten, wie diese Chance in Zukunft noch besser genutzt werden kann, welche bereits gut funktionierenden Prozesse noch ausgebaut werden sollten und an welchen Stellen noch nachgesteuert werden sollte, um den Zugang von EU Zugewanderten zu den Angeboten der Jobcenter und Arbeitsagenturen zu verbessern.
Aktualisiert: 2023-03-30
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EU-Zuwanderung nach Deutschland – Analysen zur Diversität von EU-Zugewanderten in Deutschland

EU-Zuwanderung nach Deutschland – Analysen zur Diversität von EU-Zugewanderten in Deutschland von Becker,  Paul, Dubois,  Maëlle, Fabiańczyk,  Emilia, Ferchichi,  Rossina, Komitowski,  Doritt, Kraußlach,  Marianne, Pfeffer-Hoffmann,  Christian, Siegert,  Wassili
Ungefähr 1 % der EU-Bürgerinnen und EU-Bürger ohne deutsche Staatsbürgerschaft lebt in Deutschland. Das mag zunächst nicht nach viel klingen. Anders verhält es sich, wenn wir absolute Zahlen heranziehen: 4,7 Mio. Menschen mit der Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedsstaates haben ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland. Damit sind es 82,2 % mehr als noch im Jahr 2008. Die EU-Zuwanderung nach Deutschland stellt somit neben der Fluchtmigration ein wesentliches Phänomen im Migrationsgeschehen dar. Im Vergleich zu den Geflüchteten wurde über EU-Zugewanderte in den vergangenen Jahren relativ wenig berichtet. Wurde die EU-Binnenmigration doch in den Medien aufgegriffen, so geschah dies meist in negativen Zusammenhängen – namentlich beispielsweise mit Bezug auf die Sorge, dass es nach der Aufhebung der Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu einer massenhaften Zuwanderung aus den neuen Mitgliedsstaaten im (Süd-)Osten Europas kommen könnte – einer „Armutsmigration“, die eine erhebliche Belastung für den deutschen Sozialstaat mit sich bringen würde. Dabei handelt es sich bei der Zuwanderung nach Deutschland um ein sehr vielschichtiges, diverses Phänomen. 4,7 Mio. Menschen lassen sich selbstverständlich nicht über einen Kamm scheren. Sie kommen aus verschiedenen Himmelsrichtungen nach Deutschland, aus verschiedenen Beweggründen, mit unterschiedlichen (Bildungs-)Biografien und mit unterschiedlichen Zielen für ihren Aufenthalt in Deutschland. Auch in Bezug auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen lassen sich erhebliche Differenzen feststellen. Diese Vielfalt der EU-Zuwanderung deutlich werden zu lassen und damit einseitigen Sichtweisen entgegenzutreten, ist Anliegen dieses Buches. Ziel dieses Buches ist es, zu verschiedenen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen vorhandene Kenntnisse zusammenzutragen und so einen Beitrag zu einem differenzierten Verständnis der EU-Binnenmigration nach Deutschland zu leisten. Die Datenlage gestaltet sich dabei je nach Themenfeld sehr unterschiedlich. Während wir für die Beschreibung der Situation auf dem Arbeitsmarkt oder im Bildungssystem auf offizielle Statistiken zugreifen können, basiert die Beschreibung der Communities von EU-Zugewanderten stärker auf Social-Media-Analysen und Erkenntnissen aus explorativen Diskussionsrunden. Über Diskriminierungserfahrungen von EU-Zugewanderten wiederum können wir v. a. unter Bezugnahme auf Studien und Interviews mit Expertinnen und Experten Aussagen treffen. Entsprechend haben die in den verschiedenen Beiträgen dieses Buches dargestellten Beobachtungen und Analysen unterschiedlichen Charakter. Während in einigen Beiträgen repräsentative Aussagen über die Gesamtheit der EU-Bürgerinnen und EU-Bürger getroffen werden können, formulieren wir in anderen Beiträgen eher Thesen, die sich auf nicht-repräsentative empirische Indizien stützen. Letzteres trifft beispielsweise auf das Unterkapitel zu den politischen Aspekten der EU-Migration zu. Um größtmögliche Transparenz zu bieten und es somit der Leserschaft zu erleichtern, die Beiträge richtig einzuordnen, geben wir stets an, auf welcher Datengrundlage die einzelnen Beiträge fußen.
Aktualisiert: 2020-06-30
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